Und Jimmy ging zum Regenbogen
furchtbar ist das! Warum muß mir das passieren? Womit habe ich so etwas verdient?
»Onkel Martin, wirklich?«
Und in dem Moment, da er wiederum die flehende Stimme des Jungen hörte, ging eine große Verwandlung mit dem ewig geduckten, verschreckten Martin Landau vor sich. Er reckte sich. Sein Gesicht wurde entschlossen und ernst. Seine Stimme klang fest und freundlich: »Ja, mein Junge, es ist wahr.«
»Lieber Gott im Himmel, steh uns bei!« murmelte die Agnes.
Plötzlich fühlte Landau sich von Heinz umarmt und auf beide Wangen geküßt. Er haßte es, wenn man ihn umarmte, er haßte es, wenn man ihn küßte, oh, was für eine Situation!
»Ich bin ja so froh!« rief Heinz. »So froh! Ich habe es gewußt! Immer, immer habe ich es gewußt!«
»Was?« fragte Martin Landau, zurückweichend, während Heinz ihn losließ.
»Daß da etwas nicht stimmen kann! Daß ich kein Halbjud sein kann! Daß ich ein Arier sein muß!« Heinz rannte zu Valerie. Er umarmte sie und küßte auch sie, viele Male. Dazu stammelte er: »Verzeih mir, Mami, bitte, verzeih mir, daß ich so geschrien hab … alles, was ich gesagt hab … Ich konnte doch nicht wissen … Oh, Mami, Mami, das ist der schönste Tag in meinem Leben! Ich danke dir, daß du es nun doch gesagt hast, daß du es jetzt vor Gericht sagen willst …«
Valerie war in Rage gekommen, ihr Atem ging schnell, die Worte überstürzten sich, es war, als wollte sie alles, was ihr das Herz zusammenpreßte, aussprechen, schnell, schnell, bevor sie es sich anders überlegte, auf daß ihre Handlung unwiderrufbar werde: »Und nicht nur dem Gericht werde ich es sagen, Heinz, auch diesem blödsinnigen Friedjung! Der soll sich wundern, der Idiot!«
»Der Idiot!« wiederholte Heinz, glücklich lachend. »Agnes, hörst du das alles, hörst du das? Ich bin kein Halbjud! Ich bin ein Arier! Und der Onkel Martin ist mein wirklicher Vater, nicht der Jude! Oh, Mami, Mami …«
Die Agnes betete leise.
»Das war also eine schlechte Ehe, die du geführt hast …«
Die Stimme Nora Hills klang in Valeries Ohren: »Ihr Mann hat geschrien, Sie sollen alles, alles, alles tun, um den Jungen zu schützen!«
»Eine schlechte Ehe, ja«, sagte Valerie.
»Ich habe es mir gedacht! Oft habe ich es gespürt. Nein, wirklich, Kinder spüren das! Und darum habe ich ihn ja auch nicht mögen, darum habe ich einen solchen Haß auf ihn, nicht? Weil er doch gar nicht mein Vater ist!«
Valerie hörte plötzlich geisterhaft ihre eigene Stimme: »… seinen Vater, den haßt er wie die Pest! Ist das nicht schrecklich?«
Und Nora Hills Stimme antwortete geisterhaft in Valeries Ohren:
»Schrecklich? Wunderbar ist das!«
»Was hast du gesagt, Mami?«
Sie fuhr auf. Dicht, ganz dicht vor ihr waren Heinz’ fragende Augen, sein befreites, seliges Gesicht.
»Ich … ich habe … Ja, das wird so sein, wie du sagst, Heinz. Natürlich, du hast ihn nie mögen, das hast du mir oft genug erzählt in den letzten Jahren …« In den letzten Jahren, dachte Valerie. Früher, da hatte er seinen Vater geliebt. »Das ist die Erklärung, freilich.«
»Und weiß er es?«
»Nein. Niemand hat es bis zu diesem Moment gewußt, nur Martin und ich.«
Heinz begann wieder zu lachen.
»Was hast du?«
»Er weiß es nicht!« Heinz lachte immer lauter. »Nie hat er es gewußt, der dumme Jud, und jetzt sitzt er in England und weiß nicht, daß ich es jetzt weiß! Gar nichts weiß er! Gar nichts! Ist das komisch! Ist das …«
Er brach jäh ab. »Mir ist schlecht«, sagte er stammelnd. »Ich muß mich hinlegen …«
»Warte, ich bringe dich …«
»Nein, es geht schon! Ich hab dich lieb, Mami, so lieb!« Heinz stolperte von ihr fort zur Tür. Er kam an Landau vorbei. »… und dich, Onkel Martin …« Ein Schluchzen: »…
Vater!«
Er verschwand. Gleich darauf hörten die drei Zurückbleibenden die Tür seines Zimmers zufallen.
Valerie hielt den Blicken Landaus und der Agnes stand. Der schmächtige Buchhändler biß sich auf die Lippe, er sah aus, als wolle er jeden Moment in Tränen ausbrechen. Aber er schwieg. Nur die Fäuste hielt er wieder geballt.
Das Schweigen dauerte an.
»Agnes!« sagt Valerie schließlich.
»Ja, gnä’ Frau?«
»Was haben Sie dazu zu sagen?«
Die Agnes zögerte. Dann sank ihre Stimme zu einem Flüstern herab.
»Das ist doch alles nicht wahr, gnä’ Frau! Herr Landau, es ist nicht wahr, gelt? Ich sag’s immer, wie’s ist, das wissen gnä’ Frau. Und so sag ich jetzt: Was die gnä’ Frau
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