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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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den alliierten Fliegern am Himmel Deutschlands und Italiens!«
    Trompeten.
    Die zweite Männerstimme: »Mit den Millionen Unterdrückter, die auf ihre Stunde warten!«
    Trompeten.
    Die erste Stimme: »Mit den Heeren der Arbeiter, die aus freiem Willen ihre Waffen schmieden in der Alten und der Neuen Welt!«
    Die zweite Stimme: »Die Freiheit marschiert!«
    Begeisternd, das Herz bewegend, setzten nun wieder voll die Trompeten ein, die Musik der marschierenden Freiheit …
    Die erste Männerstimme erklang, während die Trompeten etwas leiser wurden: »Und das ist das Ende unserer Radio-Wochenschau. Vergessen Sie nicht, wir kommen wieder nächste Woche um die gleiche Zeit. Hören Sie unseren Ruf …«
    Die zweite Stimme:
»Erwachendes Deutschland!«
    Die erste Stimme: »Denken Sie daran …«
    Die zweite Stimme: Es
kommt der Tag!
«
    Die erste Stimme: »Denn England greift an – und mit uns die jungen Völker!«
    Und da waren sie noch einmal, triumphierend, wunderbar: die jubelnden Trompeten …
    Valerie Steinfeld lauschte mit einem glücklichen Lächeln. Die erste Männerstimme, die zuletzt noch einmal erklungen war, das war Pauls Stimme. Die Stimme Pauls! Sie hatte sie wiedergehört. Er sprach stets in dieser ›Radio-Wochenschau‹, die immer an Samstagen von der BBC ausgestrahlt wurde. Ja, auch in dieser Sendung hatte er gesprochen. Fast jeden Abend hörte Valerie seine Stimme. Er mußte einer der wichtigsten Sprecher sein, dachte Valerie, während sie den ›Minerva 405‹ abschaltete und die Wellenlänge des Reichssenders Wien einstellte, wonach sie endlich die schwere Decke abstreifte, die über sie und den Apparat gebreitet war. Wie immer hatte Valerie auch an diesem Abend eine fremde Stimme für die ihres Mannes gehalten, den sie,
wenn
er wirklich redete, niemals erkannte.
    Jetzt stand sie von dem alten Sofa auf, öffnete die Tür des Kanonenofens und schüttete aus einem hohen, viereckigen Blechkübel kleine, graue Kohlestücke von minderer Qualität nach. Es gab nichts anderes mehr. Die schlechte Kohle brannte und wärmte, das war die Hauptsache. Wenn gute Kohle natürlich auch viel länger brannte und besser wärmte. Ein Funkenregen sprühte aus der Klappe. Der Ofen begann zu bullern. Valerie schloß die Metalltür und stellte den Kübel hin. Sie trug noch das braune Kostüm mit der breit wattierten Jacke, das sie am Vormittag bei Dr. Forster getragen hatte, und eine Bluse darunter. Aus dem Teekammerl trat sie in das erste Magazin hinaus und rief: »Martin! Jetzt kannst du kommen!«
    Danach ging sie in den kleinen, vollgeräumten Raum zurück, in dem nur die grünbeschirmte Schreibtischlampe brannte, und hob einen Kessel, dessen Wasser zu kochen begonnen hatte, vom Gasrechaud. Sie brühte eine Kanne Tee auf und holte Tassen, Löffel und eine Flasche mit Weinbrandverschnitt aus dem Geschirrkästchen, das an der Wand hing.
    Aus der Tiefe der Verliese tauchte Martin Landau auf, in Mantel und Hut, den Kragen hochgeschlagen. Er legte ab und rieb sich die Hände.
    »Eine Saukälte hat es da hinten«, sagte er. »Tee, Gott sei Dank!«
    »Muß noch einen Moment ziehen.«
    Um halb sieben Uhr hatten sie das Geschäft geschlossen, alle Lichter im Laden gelöscht, die Tagesabrechnung gemacht. Dann war es Zeit für Valerie gewesen, London zu hören, und wie immer, wenn sie das tat, war Martin Landau verschwunden, in das hinterste Magazin. Kohle wurde knapp. Das Wochenende stand bevor. Man hatte die Öfen in den Gewölben schon zu Mittag ausgehen lassen. Darum war Martin in Hut und Mantel verschwunden. Sogar einen Schal hatte er sich um den Hals gewunden. Nun nahm er ihn ab und warf ihn auf den alten Diwan. Als er sich bewegte, blitzte das Parteiabzeichen auf, das am linken Revers seines Zweireihers steckte. Der zarte, scheue Mann war urplötzlich verändert. Er wirkte energisch und ungeduldig. Es schien, als seien eine schwere Last und eine große Bedrückung von ihm abgefallen seit drei Tagen. Seit drei Tagen war Martin Landau ein anderer Mensch. Er sprach lauter und deutlicher. Er wusch nicht mehr so häufig seine Hände mit unsichtbarer Seife, und er sagte viel seltener ›immerhin‹. Ihm fiel das gar nicht auf. Valerie bemerkte es genau, und sie war sehr glücklich über diese Verwandlung. Daß er immer noch davonlief, wenn sie London hörte, war klar. So weit würde er sich niemals verändern.
    »Los, los, fangen wir an!« Landau suchte nach Papier und Bleistiften auf dem vollgeräumten Schreibtisch, rückte

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