Und Jimmy ging zum Regenbogen
Ihnen angetan?«
Irene lachte kurz.
»Er ist Staatsanwalt. Sehr ehrgeizig. Sehr erfolgreich. Erstklassige Familie, Alter Herr einer einflußreichen Studentenverbindung. Es fing schon an, als Valerie Ihren Vater und dann sich vergiftete.«
»Was fing da an?«
»Er bekam den Schrecken seines Lebens! Man wußte, daß wir verlobt waren. Der Skandal! Ich – die Nichte einer Mörderin und Selbstmörderin. In einen völlig, undurchsichtigen Kriminalfall verwickelt. Zuerst selber unter Verdacht gewesen. Da meinte mein Freund, er könne mich ein paar Tage nicht sehen. Bis sich alles beruhigt hat.« Sie sprach lächelnd, aber ihre Augen wurden feuchter. »Es beruhigte sich nur nichts. Im Gegenteil.
Sie
tauchten auf. Mein Freund konnte sich ausrechnen, daß diese Geschichte noch lange nicht zu Ende war. So trafen wir uns am Freitagabend, er wollte mit mir sprechen. Er schlug vor, daß wir uns nicht sehen, bis alles
wirklich
vorbei ist. Er muß schließlich auf seine Stellung Rücksicht nehmen. Und auf seine Familie. Natürlich liebt er mich wahnsinnig …« – Irene lachte, nun schon leicht betrunken – »… aber eben der Ruf, der gute Ruf, nicht wahr? Ich sollte mir alles bis Samstag überlegen. Da wollte er mich wieder treffen. Er traf mich auch. Und als ich ihm sagte, was ich von ihm hielt, wurde er böse, sehr böse! Das war eine … eine häßliche Begegnung.« Irene hob ihr Glas. Manuel füllte es, und sie trank wieder.
»Ich sagte ihm, daß ich erwartet hätte, er würde gerade in dieser Situation zu mir stehen. Eine vorläufige Trennung lehnte ich ab. Er wand und drehte sich. Er kam mit tausendundeinem Grund dafür, warum wir uns trennen
müßten,
bis Gras über die Sache gewachsen sei. Und plötzlich … kennen Sie das, Manuel? … plötzlich bemerkte ich, daß ich ihn überhaupt nicht liebte … daß da ein fremder Mann vor mir saß … ein abstoßender, eitler, hochmütiger, unbarmherziger, karrierebesessener Mann … kein Mann für mich … und da warf ich ihn hinaus …« Sie drückte ihre Zigarette aus und lachte unsicher. »Deshalb konnte ich Sie nicht sehen an diesen beiden Abenden. Nun wissen Sie es. Nun ist es vorüber. Schauen Sie, ich habe Ihnen also auch noch eine Geschichte zu erzählen gehabt.«
»Keine schöne.«
»Nun, das ist die Ihre ebenfalls nicht.«
»Irene …«, begann er.
»Ja?«
»Nichts …« Er senkte verlegen den Kopf.
»Schon gut«, sagte Irene Waldegg. »Schon gut. Es ist schon alles gut, Manuel.«
»Nichts ist gut!« sagte er.
»Nein, natürlich nicht«, sagte Irene.
Und danach saßen sie schweigend nebeneinander und blickten auf ihre Gläser, lange Zeit. Sie schreckten zusammen, als sie Seelenmachers Stimme hörten.
»Ich will nicht stören. Aber Sie schauen so unglücklich aus, alle beide, da habe ich mir gedacht, ich muß mit Ihnen reden. Mein Freund Groll hat mir gesagt, daß Sie große Sorgen haben, Herr Aranda, und uns verlassen wollen.«
»Ich will nicht, weiß Gott … aber ich
muß!
«
Ernst Seelenmacher hielt einen Krug und drei neue Gläser in den Händen. »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
»Gerne. Aber Ihre Gäste …«
»Sind schon alle gegangen … Als Sie das erste Mal hier waren, da befanden Sie sich in einer ähnlichen Situation, Herr Aranda. Oben in meinem Arbeitszimmer, erinnern Sie sich?«
Manuel nickte.
»Und ich brachte Ihnen eine ähnliche Weinsorte – Frühroten Veltliner. Und wir tranken zusammen.«
»Ja«, sagte Manuel, »und Sie erzählten mir, daß Sie ein Priesterseminar besucht haben und eigentlich Pfarrer werden wollten. Und von Ihrer Freundschaft mit jenem Rabbiner. Und die Geschichte von den sechsunddreißig Gerechten, ohne welche die Welt keinen einzigen Tag bestehen könnte, und die es immer gibt.«
»Immer«, sagte Seelenmacher und goß die neuen Gläser voll. »Sie zweifeln daran?«
»Ja, sehr.«
»Es
ist
so … Sie sind unglücklich, alle beide. Sie sind ratlos, alle beide. Ich weiß, welches Unglück Ihnen widerfahren ist, Herr Aranda. Sie irren umher, Sie vermuten Zusammenhänge, aber Sie finden keine. Sie glauben nicht an Zufall, aber Sie sehen auch keine Gesetzmäßigkeit. Die Zeit wird kommen, da werden Sie sehen, daß eine – nun, keine Gesetzmäßigkeit, aber daß doch das Gesetz des
Schicksals
hinter allem steht, was geschehen ist, weil wir alle Menschen sind, hineinverstrickt in die Menschenwelt. Darf ich Ihnen noch eine Geschichte meines alten Freundes, des Rabbiners, erzählen?«
»Ja,
Weitere Kostenlose Bücher