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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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die alte Remington beiseite, schob die vielen Talismane fort. »Wenn du am Montag wieder beim Anwalt sein sollst, mußt du das schon mitbringen! Und morgen müssen wir an die ganzen Kirchen und Standesämter schreiben wegen der Dokumente für dich und mich. Von mir haben sie nur den kleinen Ariernachweis verlangt, seinerzeit. Der Doktor Forster sagt, wir brauchen den Nachweis bis zu den Urgroßeltern?«
    »Bis zu den Urgroßeltern. Jetzt wird der Tee gut sein.« Valerie goß die Tassen voll. »Zwei Tabletten Süßstoff?«
    »Ja, bitte. Wie ich diesen Süßstoff hasse, dieses widerliche Dreckszeug!«
    »Was sollen wir machen? Zucker gibt es auf Karten nur so wenig. Und du willst alles doch immer unbedingt süß.«
    »Aber der Nachgeschmack, den der Mist hat! Gieß wenigstens einen ordentlichen Schuß von dem Fusel rein! Herrgott, habe ich gefroren da hinten!« Das sagte er ohne jede Anklage, er lächelte Valerie an dabei. Er verlor kein Wort des Ärgers über ihr Beharren darauf, die Sendung der BBC zu hören. (Er sah nur schnell nach, ob der Skalenzeiger des Radios richtig stand.) Und Valerie quälte ihn mit keinem Wort darüber, was sie gehört hatte. Sie erwiderte sein Lächeln. Sie hatte Mühe dabei, denn ihr war gar nicht mehr geheuer zumute nach allem, was sie an diesem Tag erfahren und gelernt hatte. Mehr und mehr wurde es Valerie bewußt, worauf sie sich da einließ. Ich muß mich darauf einlassen, dachte sie, nun schon in Fanatismus verfallen, immer wieder, ich muß! Und Martin durfte von ihrer Furcht, ihrer Bedrückung nichts merken. Er wurde so furchtbar leicht mutlos. Valerie zwang sich zu Gleichmut. Nur Martin nicht aufschrecken aus seiner Euphorie, um alles in der Welt ihm nur nicht seinen Optimismus, seinen Elan rauben durch ein unbedachtes Wort!
    »Guter, alter Martin«, sagte sie und strich ihm über das glanzlose Haar. Er zuckte zusammen. Er konnte und konnte sich nicht daran gewöhnen, von anderen berührt oder gestreichelt zu werden, schon gar nicht von Frauen.
    Valerie setzte sich.
    »Wir machen erst einen Entwurf, und dann schreibst du die endgültige Fassung in die Maschine«, sagte Landau. Er hielt die Teetasse mit beiden Händen, um diese zu wärmen, und trank einen großen Schluck, wobei er sich den Mund verbrühte. »Au!« Schnell stellte er die Tasse hin. Einen Moment verzog er das Gesicht, als wollte er weinen, dann hatte er sich gefaßt und sagte, seine Lippen betastend, männlich-rauh: »Verflucht noch mal!«
    »Wie fange ich an?«
    »Gleich in medias res gehen. Schreib! … Ich, Valerie Steinfeld, geborene Kremser, geboren am …«
    »Zweimal geboren.«
    »Egal! Du schreibst ja keinen Roman. Geboren am 6. März 1904 in Linz … hast du?«
    »… in Linz …« Valerie stenographierte.
    Landau lehnte sich zurück, hielt die Jackenaufschläge fest und wölbte die schmale Brust nach vorn. Sein blasses Gesicht hatte sich gerötet. Die Stimme klang plötzlich wie die eines Offiziers.
    »Gut. Wann hast du geheiratet? In der Dorotheerkirche, ich weiß, ich war ja dabei. Aber wann? 1923 im Oktober, nicht?«
    »Am 5. Oktober 1923. Willst du das schon in den ersten Satz reinbringen?«
    »Medias in res! Also: Geboren am 6. März 1904 in Linz, habe ich am 5. Oktober 1923 in der Dorotheerkirche zu Wien den Juden … nein, warte, das ist zu dick!«
    »Finde ich auch.« Valerie nippte an ihrer Tasse. »Jetzt geht es. Jetzt kannst du trinken.«
    Er trank und schüttelte sich.
    »An diesen Süßstoff gewöhne ich mich nie! Nein, das mache ich anders …«
Ich!
Ich sagt er, dachte Valerie, plötzlich glücklich.
    Die Freiheit marschiert …
    »So mache ich das: In der Dorotheerkirche zu Wien gegen den Widerstand meiner Familie … Das ist besser, was?«
    »Sehr gut, Martin!«
    »… Widerstand meiner Familie Paul Steinfeld, geboren am …«
    »11. Juni 1895 …«
    »… geheiratet. Punkt. Meine Eltern, die mich sehr liebten, befürchteten, daß ich an der Seite eines jüdischen und, wie sie es sahen, haltlosen und nicht seriösen Mannes, der ihnen von der ersten Begegnung an so unsympathisch erschien, wie sie ihm erschienen, kein Glück finden würde … Jetzt haut es hin, wie? Dezent, aber immerhin! Du redest nicht direkt böse über Paul, man sieht, wie du dir Mühe gibst, objektiv zu berichten. Streng die Wahrheit, ohne Übertreibung, ohne Untertreibung, was du eben sagen mußt. Den Eltern sofort unsympathisch, das ist wichtig! Und daß sie grundsätzlich gegen Juden waren. Und daß Paul sie

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