Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
Vom Netzwerk:
unterbrochen und ihr gesagt, das ist nicht der rechte Ort, sie soll am Abend wiederkommen, in meine Sprechstunde. Möglichst spät, damit sie eine von den Letzten ist und ich Zeit für sie habe. Es sind so viel Unglückliche und Verzweifelte zu mir gekommen damals. Alle wollten Rat und Hilfe – von mir, einem kleinen Pfarrer in einer kleinen Kirche in Ottakring. Arme Leute, gute Leute, Frauen vor allem. Nun ja, und dann, spät am Abend, ist sie also in meiner Wohnung erschienen, das Fräulein Agnes. Ich habe sie als Letzte drangenommen und mir alles genau erzählen lassen …«

64
    Die Agnes redete und redete.
    Ignaz Pankrater saß ihr in seinem Arbeitszimmer gegenüber an einem länglichen Tisch. Regen trommelte laut gegen die Scheiben der Fenster. Die Verdunkelungs-Rouleaus waren herabgelassen.
    »… in dem Prozeß komm ich natürlich als Zeugin dran. Ich will alles so sagen, wie es die gnä’ Frau mir sagt. Wir müssen doch den Heinzi retten. Aber es ist alles eine Lüge, was die mich werden beschwören lassen, Hochwürden! Und Meineid ist doch eine Todsünde! Was soll ich denn jetzt bloß machen? Helfen Sie mir, ich bitt Sie, sagen Sie mir, ob ich es tun darf! Sie waren immer mein Beichtvater, Hochwürden. Sie kennen mich, seit ich ein junges Mädel war, seit … seit damals … Da haben Sie mir auch so geholfen! Sie wissen, ich tue nichts Schlechtes, aber wenn ich sterb, dann möcht ich auch in den Himmel kommen dafür und nicht in die ewige Verdammnis …« Die Agnes sprach weiter und weiter. »Wenn ich nicht lüg, wenn ich die Wahrheit sag, dann schad ich dem Heinzi! Dann passiert dem noch was! Und das könnt ich mir nie verzeihen, nie …«
    Ihre Stimme wurde leiser und leiser für Ignaz Pankrater. Er dachte verbissen: Was wäre das Normale in einem solchen Fall? Ich würde den Weg des ›forum externum‹ gehen. Das heißt: Ich würde die Agnes um zwei Tage Geduld bitten und dem Wiener Generalvikar den Fall vortragen mit dem Ersuchen, mir eine Weisung zu erteilen. Der Generalvikar – ich kenne ihn, ein anständiger Mensch – würde seinerseits den Fall dem Erzbischof von Wien unterbreiten, dem Kardinal Innitzer. Den kenne ich auch. Das war ein begeisterter Nazi.
    Ja, ein Nazi war der Innitzer!
    Wäre er keiner, er würde dem Generalvikar sagen: Rufen Sie diesen Pfarrer. Erklären Sie ihm, daß ich hier eine Ausnahme machen darf. Wir leben in einem Unrechtsstaat. Da hat ein Meineid nicht die übliche Bedeutung. Er soll der Frau den Rat geben, das Gericht zu belügen und die Lügen zu beschwören und ihr sagen, daß das keine Sünde ist. Ich, der Kirchenfürst von Wien, übernehme die Verantwortung. So würde ein anständiger Erzbischof handeln. Der Innitzer, der hat die Hakenkreuzfahne an den Stephansdom hängen lassen 1938, als die Nazis gekommen sind. Jetzt denkt er vielleicht anders. Aber wer weiß das?
    Ich kann also den Weg des ›forum externum‹ nicht gehen, überlegte der kleine Pfarrer aus Leonfelden, den es in die große Stadt Wien verschlagen hatte, ach nein, das muß
meine
Entscheidung sein,
ich
muß sie auf mich nehmen und vor Gott verantworten.
    Voll Bitterkeit dachte Pankrater: Wie furchtbar sind die wahrhaft Gläubigen. Und wie glücklich muß ich sein, daß es sie gibt, immer noch gibt.
    Also eine Entscheidung in ›forum internum‹.
    Er sagte: »Was ist ein Eid, Fräulein Agnes?«
    Die Agnes schnurrte die Worte nur so herunter: »Ein Eid, das ist die Anrufung Gottes des Allmächtigen zum Zeugen für die Wahrheit einer Aussage, oder die Ehrlichkeit einer Zusage, oder die Anrufung des Allmächtigen zum Rächer eines falschen oder gebrochenen Eides. – Das ist ja gerade das, wovor ich solche Angst habe. Ich …«
    »Fräulein Agnes! Was Sie da gesagt haben, ist richtig. In
normalen
Zeiten, in denen wirklich
Gott
als der Allmächtige gilt und verehrt wird – und nicht ein Menschenpopanz, eine Partei, eine unmenschliche Weltanschauung, das Böse.«
    »Aber man darf doch
nie
lügen,
nie
meineidig werden!«
    »Gott will nicht, daß das Böse mächtiger wird als das Gute. Darum siegt das Gute ja zuletzt immer – wenn es manchmal auch lange dauert. Und darum müssen wir uns gegen das Böse stellen, Fräulein Agnes. Wir müssen das Gute unterstützen. Jeder von uns, so sehr er kann. Und darum, Fräulein Agnes, ist Gutes tun in Ihrem Fall
wichtiger
als der Eid, ist die Rettung einer Familie oder eines Menschenlebens
wichtiger
als ein Meineid.«
    »Das heißt …«
    »Das heißt,

Weitere Kostenlose Bücher