Und Jimmy ging zum Regenbogen
daß Sie lügen dürfen. Ich erteile Ihnen hiermit die Erlaubnis. Ich, Ihr Beichtvater! Ich spreche Sie frei von den Folgen eines Meineids.
Es ist kein Meineid –
in diesem Fall, Fräulein Agnes. Nicht in dieser Zeit. Nicht vor diesen Leuten. Sie
müssen
falsch aussagen. Es ist
notwendig.«
»Ach, Hochwürden, Hochwürden!« Die Agnes sprang auf, und ehe Pankrater es verhindern konnte, hatte sie seine Hand geküßt. Er zog sie schnell zurück.
»Fräulein Agnes! Das dürfen Sie doch nicht!«
»Aber wenn ich so glücklich bin! Und wie glücklich wird erst die gnä’ Frau sein!«
»Leise«, sagte der kleine Pfarrer. »Leise, Fräulein Agnes. Und vorsichtig.
Es ist gefährlich, was Sie und Frau Steinfeld und Herr Landau da tun, lebensgefährlich ist es – auch für Sie.« »Für mich auch?« Die Agnes erschrak.
Ignaz Pankrater dachte: Wozu bin ich Pfarrer, wenn ich jetzt nicht alles tue, um zu helfen?
Ignaz Pankrater sagte: »Ja, gefährlich, Fräulein Agnes, falls das Gericht – es wird nicht so sein, bestimmt nicht, aber es könnte theoretisch so sein – Sie überführt, einen Meineid geleistet zu haben. Darauf stehen hohe Strafen.«
»Sehr hohe?« fragte die Agnes ängstlich.
»Sehr hohe. Und darum:
Wenn
dieser Fall eintreten sollte – er wird nicht eintreten (hoffentlich, dachte Pankrater, hoffentlich!) –, dann erklären Sie dem Gericht, daß
ich
Sie zum Meineid
aufgefordert
habe.«
»Daß Sie …« Die Agnes plumpste erschrocken auf ihren Stuhl zurück.
»Das würde ich niemals tun!«
»Das
müssen
Sie dann tun! Einer muß die Verantwortung tragen in dieser Sache. Sie haben sich um Rat an mich gewandt. Ich habe Ihnen geraten. Also trage ich die Verantwortung. Mit mir …« Er stockte ein wenig und dachte: Ein Held bin ich auch nicht. Wenn wir doch alle mutiger wären, Herr im Himmel. Aber wenn wir alle mutiger wären, dann hätte diese Heimsuchung nie über uns kommen können. Er fuhr fort: »Mit mir werden sich diese Herren nicht so leicht anlegen wie mit Ihnen.« Ach, genauso leicht, dachte er, aber das darf mich nicht beeinflussen. »Ich habe Ihnen den Rat und den Auftrag gegeben, das erklären Sie, wenn etwas schiefgeht. Und das schwören Sie mir jetzt, daß Sie das erklären werden, Fräulein Agnes, vor dem Kruzifix und den brennenden Kerzen schwören Sie es mir, eher lasse ich Sie nicht gehen, haben Sie verstanden?«
65
»Sie hat sich lange gewehrt, aber dann hat sie es mir geschworen – vor dem Kruzifix und den brennenden Kerzen«, sagte der alte, kleine Pfarrer und drückte den Stummel seiner stinkenden Zigarre in einem Aschenbecher aus.
Über den endlosen Gang des Altersheims schlurften Männer und Frauen, gebückt, krumm, manche auf Schwestern gestützt.
»Sie sind ein großartiger Mann, Herr Pfarrer«, sagte Manuel endlich.
»Unsinn«, sagte Pankrater. »Was hätte ich denn tun sollen? Hätten Sie anders entschieden an meiner Stelle? Na also.«
»Aber ich bin kein Pfarrer …«
»Ein Mensch«, sagte Pankrater. »Sie sind ein Mensch. Und das war auch ich in erster Linie für Fräulein Agnes – ein Leben lang fast. Der Mensch, dem sie am meisten vertraute. Ich konnte sie doch nicht enttäuschen.«
»Herr Pfarrer«, fragte Irene, »wissen Sie, wie der Prozeß ausging? Was aus dem Jungen wurde?«
Der kleine Mann mit den klobigen Landschuhen schüttelte den Kopf.
»Leider nein. Im Herbst 1943 – da war noch nichts entschieden in diesem Prozeß – hätten sie mich um ein Haar verhaftet. Wegen meiner Predigten. Ich habe den Mund sehr voll genommen auf der Kanzel, wissen Sie. Die Gestapo wollte mich abholen. Zum Glück erfuhren wir rechtzeitig davon. Meine Vorgesetzten brachten mich in letzter Minute aus Wien heraus. Ich habe versteckt gelebt im Salzburgischen, bei Hallein. 1945 ist da der Pfarrer gestorben. Ich habe seine Stelle angenommen. Meine Kirche in Ottakring draußen war ausgebombt. Nichts zu tun für mich in Wien. So viele Arbeit gab es in Hallein – allein die Flüchtlinge, Sie machen sich keine Vorstellung! Ich schäme mich, es zu sagen, aber ich habe das Fräulein Agnes damals vergessen gehabt, völlig vergessen.«
»Aber sie hat Sie doch nicht vergessen!« rief Manuel.
»Sie hat mich gesucht, überall, jahrelang. Aber sie konnte mich nicht finden. Da hat sie resigniert, besonders, als die Kirche in Ottakring wiederaufgebaut worden ist und ein anderer Pfarrer sie übernahm. Da hat das Fräulein Agnes mich auch nicht weiter gesucht. Sie dachte, ich
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