Und Jimmy ging zum Regenbogen
auch mitgeschwemmt und bleibt an einer Stelle liegen, wo der Wien-Fluß unterirdisch fließt. Das war ich dem Hotel schuldig! Das Wiener ›Ritz‹ ist ein internationaler Begriff. Er darf nicht unter einem Skandal leiden.
Der Graf hob einen Arm und stützte ihn auf das Lenkrad. Dabei fühlte er, daß der Arm bereits schwer war wie Blei. Der Graf Romath lächelte ein wenig.
Es geht großartig, dachte er. So einfach. In einer Stunde ist alles vorbei. Welch ein Glück, daß Santarin mir das Schlafmittel gab und Grant den Whisky. Mehr Glück kann man unter den Umständen wirklich nicht verlangen.
63
»Ja, das war eine schwere Zeit damals bei den Nazis, aber gut ist zum Schluß doch noch alles gegangen, nichts ist geschehen! Verloren haben wir den Krieg, wie noch kein anderes Volk auf der Welt einen Krieg verloren hat, der Hitler war weg, und der gnä’ Herr hat zurückkommen können aus London! Waren wir da alle glücklich! Und jetzt leben der gnä’ Herr und die gnä’ Frau wieder zusammen, beide arbeiten, die gnä’ Frau in ihrer Buchhandlung, der gnä’ Herr im Radio, und was haben wir alle für eine Freude mit dem Heinzi! Was ist das für ein berühmter Mann geworden! Professor an der Universität und hält Vorträge in der ganzen Welt, und alle verehren ihn und reißen sich darum, daß sie seine Schüler sein können!«
Die Agnes Peintinger hatte sehr schnell gesprochen, mit einem Gesicht, das von kindlicher Freude erfüllt war – das runzelige, lederne Gesicht einer alten Frau. Jetzt klatschte sie in die großen, knochigen Hände und lachte Manuel Aranda an. Sie war noch kleiner, als er sie sich vorgestellt hatte, und sie sah in der Tat aus wie das, was sie wieder geworden war: ein Kind.
»Das ist nett, Agnes, daß Sie Herrn Aranda alles so schön erzählen«, sagte Irene Waldegg. »Er interessiert sich sehr dafür, was damals passiert ist. Können Sie nachdenken und ihm noch ein bißchen mehr erzählen – über den Prozeß, zum Beispiel?«
Die Agnes lachte.
»Der Prozeß, ja, du lieber Herrgott! Hereingelegt haben wir die Lackeln, aber wie! An etwas Genaues erinnere ich mich nicht nach der langen Zeit, obwohl ich mich sonst sehr gut erinnern kann! Sie haben es gedreht und gewendet, aber zum Schluß haben sie sagen müssen, ja, der Heinzi ist ein reiner Arier … 1950 war das … nein, 1951, jetzt weiß ich es wieder genau, im Sommer.«
Es war 9 Uhr 30 am Dienstag, dem 21. Januar.
Um 6 Uhr 45 früh hatte Manuel – es schneite noch immer – Irene in der Gentzgasse abgeholt und war mit ihr vorsichtig durch freigeräumte glatte Straßen und von Schnee verwehte Seitengassen zum Ostbahnhof gefahren, um den ihnen unbekannten Jakob Roszek abzuholen, der, wie Paul Steinfelds Bruder Daniel geschrieben hatte, an diesem Tag mit dem ›Chopin-Expreß‹ in Wien eintreffen und eine wichtige Nachricht überbringen würde. Es war eisig kalt auf den Bahnsteigen gewesen, Wind hatte in die mächtige Halle gepfiffen, und auf einer großen Tafel waren die durch die katastrophalen Schneefälle bedingten Zugverspätungen angegeben gewesen.
Der ›Chopin-Expreß‹ hatte eine voraussichtliche Ankunftszeit um 13 Uhr 45 – also in sechs Stunden.
»Wir können hier nicht so lange warten«, hatte Irene gesagt. »Dienstags besuchten Valerie oder ich immer die Agnes im Altersheim. Wollen wir zu ihr?«
Sie waren hingefahren.
Das Heim lag in einer stillen Seitengasse der Josefstädter Straße. Unterwegs hatte Manuel auf Irenes Bitte noch vor einem Spielwarengeschäft gehalten.
»Agnes liebt Stofftiere. Sie hat schon eine ganze Sammlung. Wir wollen ihr ein neues Tier mitbringen.«
Sie hatten ein kleines Zebra gekauft.
Die Agnes hielt es nun mit beiden Händen fest und sah es entzückt an. Sie hatte schon wieder völlig vergessen, wovon gerade gesprochen worden war.
»Ein Zebra!«
Die Agnes hob es hoch, drückte das weiche Fell an die Wange. Sie eilte vom Rand des Bettes zu einer Persilschachtel neben einem Schrank. Sie kauerte sich nieder und begann, ungestüm wie ein Kind, Stofftiere über die Schulter zu werfen – einen Elefanten, ein Krokodil, ein Schaf, Enten, Raben, Affen, Hasen und Giraffen, größere und kleinere Tiere. Der Boden bedeckte sich. Die Agnes jubelte mit hoher, dünner Stimme: »Ist das nicht schön? Gefällt es Ihnen, Herr?«
»Sehr schön«, sagte Manuel. Er sah hilflos von Irene, welche die Schultern zuckte, zu dem kleinen, stämmigen Mann, der neben der Agnes stand. Hochwürden Ignaz
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