Und Jimmy ging zum Regenbogen
Auto. Damals, als Ihre Tante begraben wurde, war Roman für zwei Tage nach Zürich geflogen. Da konnte ich den Wagen benützen.«
Der Mann neben dem Fahrer des grauen Peugeot, der Manuels Mercedes in großem Abstand folgte, sprach russisch in ein Handmikrophon: »Lesskow … Ich rufe Lesskow … Hier ist Tolstoi …«
»Wir hören euch, Tolstoi«, ertönte eine Stimme aus einem Lautsprecher unter dem Armaturenbrett. Heute hatten die Sowjets die Bewachung Manuels übernommen. »Was ist los?«
»Sie fahren weiter Richtung Flughafen …«
»Ihr folgt ihnen, Tolstoi. Wohin sie auch fahren. Bei dem geringsten Zwischenfall gebt ihr sofort Alarm und greift ein …«
»Verstanden, Lesskow, Ende.«
In Manuels Wagen hatte Bianca Barry eine Zigarette angezündet. Sie rauchte nervös.
»Nun beruhigen Sie sich aber«, sagte Irene. »Ihr Mann ist doch nicht in Wien!«
»Sie wissen nicht, wie eifersüchtig er ist. Vielleicht hat er jemanden beauftragt, mich zu beobachten …«
»Unsinn!«
»Ja, natürlich Unsinn. Ich habe sehr achtgegeben. Niemand ist mir gefolgt. Diese ganze Geschichte hat mich nur so sehr aufgeregt. Und dann kamen auch noch Sie, und ich mußte Ihnen etwas vorlügen. Glauben Sie mir, ich habe den Tag herbeigesehnt, an dem ich Sie wiedersehen konnte, um die Wahrheit zu erzählen über Heinz und mich …«
»Manuel war durch die Mitte des kleinen Ortes Schwechat, der umgeben von Industrieanlagen lag, gefahren und erhöhte nun auf einer breiten, neuen Straße, welche schnurgerade lief, die Geschwindigkeit. Das Gelände war flach. Plötzlich ertönte ein donnerndes Brausen. Manuel zog den Kopf ein und blickte kurz nach oben. Sehr groß, in geringer Höhe, flog eine Maschine über die Straße hinweg, Sekunden vor dem Aufsetzen. »Da drüben liegt der Flughafen«, sagte Bianca. Manuel sah, im Schnee, Hallen, parkende Maschinen und Hangars. Die landende Maschine verschwand hinter einem Schneeberg.
»Immer noch weiter?« fragte Manuel.
»Ja.« Bianca war ruhiger geworden. »Das, was ich Ihnen zeigen will, liegt noch ein ganzes Stück entfernt. Der Ort … Es klingt pathetisch und lächerlich … Für mich ist er unvergeßlich geblieben, dieser Ort! Sie sind die ersten, denen ich erzähle, was dort geschah. Es ist eine Geschichte, die mich und Heinz angeht, nur uns zwei! Nie werde ich sie vergessen. Ihnen will ich sie verraten. Sie haben von dem Prozeß gehört, der damals geführt wurde. Sie sollen wissen, was Heinz und ich in dieser Zeit taten, was … was an jenem Ort geschah … Aber ich muß der Reihe nach erzählen. Das passierte erst im Sommer 1943. Vorher, Ende 1942 und im Winter 1943, zum Jahresanfang, da war noch alles in Ordnung, da war alles noch wunderbar …«
17
»Ein gesegnetes Weihnachtsfest wünsche ich dir, Heinz!«
»Und ich dir, Bianca!«
»Und daß alles gutgeht!«
»Bestimmt geht alles gut. Die nächsten Weihnachten feiern wir richtig. Da kommst du zu mir, oder vielleicht komme ich zu euch. Da ist dann längst alles vorbei und der Prozeß zu Ende, und ich bin Arier, und dein Vater wird nicht mehr böse auf mich sein!«
Diese Worte wurden gegen 19 Uhr 15 am 20. Dezember 1942 geflüstert, ja, geflüstert, von Mund zu Mund. So dicht standen Bianca und Heinz unter den Arkaden der uralten Minoritenkirche. Hier, in fast völliger Finsternis, durch keinen Menschen gestört, trafen Bianca und Heinz einander seit mehr als einem Monat dreimal wöchentlich, stets um dieselbe Zeit.
Zwei Zufälle waren ihnen zu Hilfe gekommen.
Heinz Steinfeld war als Rollenpendler vom Sechsten in den Neunten und Ersten Bezirk versetzt worden. Die Kinos im Sechsten Bezirk gehörten der gleichen Verleihkette an wie jene, in denen er nun arbeitete. Eine reine Austauschmaßnahme hatte das für seine Arbeitgeber bedeutet – für ihn das Glück! Denn Bianca war, wohl als Ermunterung und Lohn für scheinbar so einwandfreies Betragen, aber auch, damit man sie noch mehr unter Kontrolle hatte, von der Leiterin ihrer BDM -Gruppe zu einem Schulungskurs für Mädelscharführerinnen geschickt worden. Mädelschaftsführerin war sie schon gewesen, als man sie degradierte. Nun sollte sie plötzlich noch weiter befördert werden. Drei Monate dauerte der Lehrgang. (Biancas Vater hatte seine Beziehungen spielen lassen. Der Gauredner Egmont Heizler tat alles, um die Schmach zu tilgen, die seine Tochter ihm angetan hatte.) Die Abende fanden in einem alten Palais an der Herrengasse nahe der Freyung statt. Bianca
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