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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Hauptstraße führte durch den Ort weiter. Manuel bog nach rechts und blieb stehen.
    »Steigen wir aus«, sagte Bianca.
    Sie traten ins Freie. Die Luft war hier sehr rein und schneidend kalt. Als Manuel den Wagenschlag an seiner Seite absperrte, kam ein grauer Peugeot, in dem zwei Männer saßen, durch die Turmeinfahrt gerollt und fuhr den großen Platz ein Stück weiter hinauf, bevor auch er hielt. Niemand stieg aus.
    Eine Falle? überlegte Manuel kurz. Oder war das einer jener Wagen, die ihm immer folgten?
    »Das ist ein uralter Ort«, sagte Bianca. »Der Turm da entstand im elften Jahrhundert.«
    Irene wies auf ein sauber und gepflegt aussehendes kleines, einstöckiges Gebäude. In geschwungenen weißen Neonleuchtbuchstaben war über den unteren Fenstern das Wort MERZENDORFER zu lesen. Das Haus hatte eine große geöffnete Einfahrt. Man sah einen verschneiten Hof, in dem alte Bäume standen.
    »Ein berühmtes Feinschmeckerlokal für Fischliebhaber«, erklärte Irene. »Im Sommer sitzt man im Freien, unter den Kastanienbäumen, unter Blumenranken, die sich an Drähten entlangziehen. Der Ziehbrunnen da links, der ist gewiß auch uralt. Wollten Sie hierher mit uns, Frau Barry?« Die Frau des Malers hörte nicht. Sie starrte ein Haus in der Mitte des Platzes an. Dort gab es ein ›Kolonialwarengeschäft‹.
    »Frau Barry!«
    Sie wandte den Blick nur langsam von dem Geschäft fort.
    »Ja, bitte?«
    »Ich sagte, wollten Sie mit uns zum ›Merzendorfer‹ …«
    »Nein. Hierher, auf diesen Platz. Und dann noch ein Stück weiter.« Sie wies mit der ausgestreckten Hand nach Norden. »Da hinten ist die Station der Hainburger Bahn. Und hinter der Bahn gibt es eine Fabrik für Lacke. Ziemlich große Fabrik. Wurde nach dem Krieg neu aufgebaut. Im Frühsommer 43 haben sie Heinz da dienstverpflichtet. Als Hilfsarbeiter.«
    »
Hilfsarbeiter?
Aber er verstand doch etwas von Chemie!«
    »Nicht von organischer. Oder zu wenig. Er schuftete hier wie die Zwangsarbeiter, wie die Gefangenen.«
    »Hier?«
Manuel sah Bianca an. »Aber das ist doch …«
    »Weit weg von der Gentzgasse, bei Gott! Heinz mußte jeden Morgen um fünf Uhr aufstehen und mit Straßenbahn, Stadtbahn und Hainburger Bahn fahren. Die Lage war damals schon kritisch. Nach Stalingrad forderte Goebbels den Totalen Krieg. Auch Frauen mußten in die Fabriken. Und niemand konnte sich aussuchen, wohin er gesteckt wurde.«
    Der Peugeot stand immer noch reglos, mit abgestelltem Motor. Die beiden Männer am Steuer sahen die drei Menschen an, nur Manuel bemerkte es.
    Irene fragte: »Ist das die Fabrik gewesen, in der …«
    »Ja«, sagte Bianca Barry, »diese Fabrik, jetzt neu aufgebaut, wurde bei einem der schweren Angriffe auf das Industriegebiet hier und weiter oben bei Schwechat getroffen und flog in die Luft. Da drüben …« – wieder wies sie mit der Hand – »… ist Heinz ums Leben gekommen. Aber um Ihnen das zu sagen und zu zeigen, habe ich Sie natürlich nicht hergebracht. Kommen Sie mit mir. Sie werden gleich alles verstehen«, sagte Bianca Barry, einen letzten Blick auf das ›Kolonialwarengeschäft‹ werfend. Sie ging voraus, die Hauptstraße hinauf, zwischen den niederen Häusern weiter. »Entschuldigen Sie mich einen Moment«, sagte Manuel. »Ich muß telefonieren.«
    Damit betrat er schon die Einfahrt zu dem Restaurant ›Merzendorfer‹. Er rief zweimal, bevor ein Kellner erschien. Um diese Zeit des Tages war es hier still. Manuel äußerte seinen Wunsch, der Kellner führte ihn in ein kleines Büro, in dem ein Telefonapparat stand, und ließ ihn allein.
    Hofrat Wolfgang Groll meldete sich sofort, nachdem der Beamte in der Telefonzentrale des Sicherheitsbüros die Verbindung hergestellt hatte. Manuel sagte, wo er sich befand und in welcher Gesellschaft.
    Groll unterbrach ihn: »Und ein grauer Peugeot mit zwei Männern ist Ihnen gefolgt.«
    »Woher wissen …«
    »Unser Freund Santarin hat angerufen und mich beruhigt. Das sind seine Leute. Die passen auf Sie auf. Wir können ja leider niemanden ständig zu Ihrem Schutz …«
    »Ja, ja, ich weiß. Und es war sicher Santarin?«
    »Sicher«, sagte Groll. »Ich rief zurück. Was machen Sie da unten, Manuel? Was will diese Bianca Barry Ihnen zeigen?«
    »Keine Ahnung. Ich erzähle es Ihnen, wenn ich nach Wien zurückkomme …«

19
    Weiß, weiß, weiß war alles in der bizarren Au-Landschaft: die uralten Bäume, die Weidenstrünke, das dichte Unterholz; die zugefrorenen Altwassertümpel; die Sumpfwiesen zu

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