Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
Vom Netzwerk:
konnte bei den schlechten Verkehrsverhältnissen immer wenigstens zehn Minuten erübrigen, um in die finsteren Arkaden der Minoritenkirche zu eilen, Heinz die Fahrt von einem Kino im Ersten zu einem Kino im nahen Neunten Bezirk, gerade bevor Biancas Schulungskurs begann, für dieselbe Zeit unterbrechen. Er fuhr vorher und nachher nur um so schneller. Das alte Rad mit den grauen Schachteln der Filmrollen, die er transportierte, begleitete ihn stets in die Finsternis der Arkaden.
    Bis es zu diesem wundervollen Zusammentreffen von Umständen gekommen war, hatte Biancas beste Freundin, der sie vertrauen konnte, Heinz regelmäßig an einer bestimmten Stelle im Sechsten Bezirk zu bestimmter Zeit einen Brief Biancas übergeben, und er wiederum hatte der Freundin einen für Bianca bestimmten Brief in die Hand gedrückt. Jeden zweiten Tag traf er mit der Freundin zusammen, eine Menge Briefe wurden geschrieben, voll Liebe und mit Rührung, Herzklopfen und Angst wurden sie gelesen und danach stets sofort vernichtet. Nur kurze Zeit war die persönliche Verbindung abgerissen gewesen. Nun bestand sie wieder, enger denn je zuvor.
    Diese Minuten, die Bianca und Heinz dreimal wöchentlich unter jenen Arkaden verbrachten, in Dunkelheit, Kälte, oft in Regen, waren für sie die schönsten und kostbarsten. Sie flüsterten sich Treueschwüre und Liebesbeteuerungen ins Ohr, sie umarmten, küßten und streichelten einander.
    »Hier ist mein Geschenk für dich«, flüsterte Heinz und reichte Bianca ein kleines Päckchen.
    »Und hier das meine …« Sie gab ihm ein größeres Päckchen.
    »Nicht jetzt aufmachen, später!«
    »Die Klage ist schon eingereicht«, verkündete Heinz glücklich.
    »Und du glaubst …«
    »Was denn? Du nicht? Natürlich geht jetzt alles gut! Ich bin nur wütend darüber, daß meine Mutter diesen Prozeß nicht früher geführt hat.«
    »Deine Mutter hat es schwer, Heinz …«
    »Ja, sicherlich. Ich bin ja schon ruhig. Ach, Bianca, daß wir uns jetzt immer sehen können! Jede Nacht vor dem Einschlafen schaue ich das Foto von dir an, das du mir geschickt hast.«
    »Das tue ich auch, Heinz. Mit dem Foto von dir. Ich habe es gut versteckt, immer.«
    »Ich auch, natürlich.«
    »Wenn ich nicht zu Hause bin, trage ich es bei mir …«
    »Das ist leichtsinnig! Wenn es dir aus der Tasche fällt …«
    »Es fällt mir nicht aus der Tasche. Willst du wissen, wo ich es habe?«
    »Ja … ja …« Er preßte sich enger an sie, er spürte ihren heißen Atem im Gesicht, als sie sprach.
    »Greif in meine Bluse … in die linke Hälfte vom Büstenhalter … ja … da … oh, Heinz …«
    Die Minoritenkirche liegt an der Rückfront des Bundeskanzleramtes, das sich am Ballhausplatz befindet und damals Sitz des Reichsstatthalters war. Hier sieht man einen Teil des ältesten Wien – winzige Gäßchen, schöne Palais mit seltsamen Gestalten aus verwittertem Stein an den Fassaden. Die Kirche war im Lauf der Jahrhunderte zum Teil zerstört worden. Ein Eck des Daches fehlte, ebenso der oberste Teil des Turms, der bei einer Türkenbelagerung abgeschossen worden war. In die Wände des Arkadenganges hatten ungezählte Verliebte ihre Namen oder ihre Initialen in den Stein gekratzt. Auch Heinz hatte das getan. Da, wo sie nun standen, gab es in Kopfhöhe ein primitives Herz, darin die Buchstaben B . H . und H . S ., darunter die Jahreszahl 1941, danach einen waagerechten Pfeil, und dieser deutete auf eine kleine liegende 8 – das mathematische Zeichen für ›Unendlich‹. 1941 hatten sie einander kennengelernt, und bis in die Unendlichkeit hinein wollten sie einander lieben.
    Heinz streichelte Biancas Brustwarze. Sie stöhnte leise, und ihre Hände wühlten in seinem blonden, kurzgeschnittenen Haar.
    »Nicht, tu das nicht, Heinz … bitte, nicht … Ja, ja … tu es weiter …«
    »Ich halte das nicht mehr aus, Bianca, ich will …«
    »Ich doch auch! Wenn du mich nur anrührst, werde ich halb verrückt!«
    »Wann, Bianca, wann?«
    »Der Winter geht vorüber … Wenn es wieder Frühling wird … Wenn es warm ist …«
    »Ja, ja …«
    »Dann, Heinz, dann …«
    »Ich muß weg.«
    »Ich auch.«
    »Vor dem Heiligen Abend sehen wir uns nun nicht mehr – du hast ja keinen Schulungsabend mehr.«
    »Nein, aber am achtundzwanzigsten wieder.«
    »Ich werde hier sein wie immer. Und, Bianca, am Heiligen Abend, um diese Zeit, da gehe ich noch einmal aus dem Haus und schaue in den Himmel … Tu das auch … Vielleicht ist es

Weitere Kostenlose Bücher