Und Jimmy ging zum Regenbogen
manchmal. Drei große Kinder hat sie. Frau Senatspräsidentin ist sie.«
»Nein!«
»Wenn ich es Ihnen sage! Sie wohnt nur drei Straßen von hier, oben beim Türkenschanzpark. 1945, im August, hat sie geheiratet. Einen sehr netten, anständigen Richter …«
»Herr Doktor, Sie sind damals eher ernst gewesen, obwohl die Verhandlung doch glänzend verlief. Warum?«
»Weil ich wußte, daß es jetzt kein Zurück mehr gab. Eine paradoxe Reaktion. Nun war alles in Fluß. Wenn etwas schiefging, waren die Folgen nicht absehbar – für keinen von uns.«
»Und wie verliefen die Untersuchungen?«
»Das weiß ich eben nicht mehr genau. Irgendwann im Mai wohl fanden sie statt.«
»Erst im Mai – so spät?«
»Wie ich Ihnen schon sagte – alle Ämter und Behörden waren hoffnungslos überfordert in jener Zeit. Unmassen von Arbeit, der größte Teil der Männer bei der Wehrmacht … Die Blutgruppenuntersuchung erfolgte, glaube ich, etwas früher. Sicherlich weiß Herr Landau noch, was damals passiert ist und wann. Ich erinnere mich nur, daß die nächste Verhandlung ein neuer Richter führte – nicht mehr dieser Gloggnigg.«
»Wieso nicht Gloggnigg?«
»Der wurde bald nach dem ersten Termin befördert und nach Berlin versetzt. Soll dort noch sehr gewütet haben.«
»Wissen Sie etwas über seinen weiteren Weg?«
»Verschwunden nach Kriegsende. Tot vielleicht. Vielleicht untergetaucht. Ich habe nie mehr etwas von ihm gehört.«
Rasch zog Manuel die Fotografie seines Vaters aus der Brieftasche und legte sie Forster hin. Er hatte das Bild auch Nora Hill und Martin Landau gezeigt. Sie hatten erklärt, nie einem Mann begegnet zu sein, der Manuels Vater ähnelte, so wie er auf dem Foto zu sehen war. Manuel fuhr fort, das Bild zu präsentieren. Er war entschlossen, jede noch so kleine Chance wahrzunehmen.
»Das ist Ihr Vater?« fragte Forster.
»Ja. Erinnert Sie das Bild an jemanden, den Sie im Krieg hier kannten – an diesen sadistischen Gloggnigg zum Beispiel?«
Forster betrachtete das Foto genau.
»Warum sagen Sie nichts?«
»Es ist zum Verrücktwerden«, murmelte der Anwalt. »Ich habe dieses Gesicht schon einmal gesehen …«
»
Was?
«
»… aber es ist nicht Gloggnigg, da bin ich ganz sicher.«
»An wen erinnerte Sie mein Vater dann?«
Forster überlegte lange. Endlich reichte er das Bild kopfschüttelnd zurück.
»Es tut mir leid, ich weiß es nicht.«
»Aber Sie fühlen sich an jemanden erinnert, den Sie kannten?«
»Ja«, sagte Forster. »Ja … das tue ich bestimmt …«
»An wen, Doktor? An wen? Denken Sie nach, bitte!«
»Und wenn Sie mich totschlagen«, sagte Forster, »ich habe keine Ahnung mehr.«
15
WARSCHAU + 22 + 1 + 2030 UHR + +
IRENE WALDEGG GENTZGASSE 50 A + WIEN 18 + OESTERREICH + + HERZLICHEN DANK FÜR SCHNELLE HILFE UND TELEGRAMM + FREUE MICH SEHR BEI IHNEN WOHNEN ZU DUERFEN + EINTREFFE MIT CHOPINEXPRESS 27 . JANUAR + GRUSS DANIEL STEINFELD + + +
16
Bianca Barry trug einen hellen, sportlich geschnittenen Nerz, helle Stiefel und ein Tuch um das Haar. Sie stand am Straßenrand vor dem großen Tor 11, dem Hauptportal des Zentralfriedhofs. Es schneite nicht an diesem Nachmittag, aber die Wolken, die den Himmel bedeckten, waren dunkel, und ein eisiger Ostwind wehte.
»Das ist sie«, sagte Irene. Sie saß neben Manuel, der den blauen Mercedes lenkte, und sie trug gleichfalls Stiefel, ein Kopftuch und ihren Breitschwanzpersianer.
»Pünktlich wie wir«, sagte Manuel. Es war genau 15 Uhr an diesem Donnerstag, dem 23. Januar. Manuel trat auf die Bremse und ließ den Wagen vor der Frau des Malers ausrollen. Sie öffnete schnell den Schlag hinter Irene und glitt in den Fond.
»Guten Tag«, sagte Bianca Barry hastig. »Fahren Sie gleich weiter, bitte.«
»Wohin?«
»Immer geradeaus.« Bianca reichte Irene, die sich halb umgedreht hatte, die Hand. »Es hat Sie gewiß erstaunt, daß ich Sie gerade hier treffen wollte, aber der Zentralfriedhof liegt auf dem Weg …«
»Weg wohin?« fragte Manuel.
»Nach … Ich will Ihnen etwas zeigen … Es ist noch weit dahin. Die Straßenbahn, der Einundsiebziger, hat eine Station weiter Endhaltestelle – bei Tor drei. Dort sind aber kaum Menschen, man fällt mehr auf als beim Hauptportal. Darum bin ich schon hier ausgestiegen. Hier ist immer etwas los.«
»Und Ihr Wagen?« fragte Irene. »Zum Begräbnis sind Sie doch in Ihrem Wagen gekommen?«
»Mit dem ist Roman nach Linz gefahren. Zu dieser Galerieeröffnung. Wir haben nur ein
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