Und Jimmy ging zum Regenbogen
Irene Waldegg. Sie sah zu Manuel empor. Jetzt konnte er ihre Augen erkennen. Sie waren braun wie das Haar und gerötet und verschwollen vom vielen Weinen.
»Ruhig«, sagte Manuel, »bitte, beruhigen Sie sich.«
Ihr Körper sackte plötzlich durch, er mußte sie an sich pressen. Ihre Knie gaben nach.
»Mir ist so schlecht … Ich habe mich zusammengenommen … Ich … Ich … ich dachte, es würde schon gehen … aber jetzt … zum erstenmal habe ich jetzt gefühlt, daß sie nie … nie, nie, nie mehr da sein wird … Valerie! Valerie! Warum hast du das nur …«
Manuel konnte nicht länger verstehen, was sie stammelte, während Tränen aus ihren Augen strömten. Das Brausen der nahenden Boeing war zu laut geworden. So standen sie da, seine Arme um ihren Rücken, ihr Kopf an seiner Brust. Wie ein Liebespaar sahen sie aus, wie ein tragisches Liebespaar. Manuel blickte auf die Schluchzende herab. Er dachte: Nein, diese Frau hat keine Schuld.
Da kam sie angerast, die Maschine, auf ihrem weiten Weg nach Paris und New York, da kam sie, schon in den Wolken, mit tobenden, hämmernden, dröhnenden Düsenaggregaten.
Zu Schlitzen verengt hatten sich Clairons Augen. Da stand er, gegen den Mamorquader gepreßt, gefühllos, völlig gefühllos wie stets. Na also, dachte er. Wunderbar, dachte er. Großartig. Es könnte nicht besser sein. Manuel Arandas Kopf war völlig frei, Clairon sah das Profil genau im Zielfernrohr. Schläfenschuß, dachte er und orientierte sich nach Manuels rechtem Ohr, das unter der braunen Pelzmütze hervorlugte. Ja, Schläfenschuß. Jetzt klappt es. Es hat noch immer geklappt.
Mit atemraubendem Heulen brauste die Boeing über den Friedhof. Clairons Finger am Abzug der 98 k begann sich zu krümmen, mehr und mehr. Der Schuß war kaum zu hören. Ohne einen Laut stürzte Clairon in den Schnee. Er lag mit dem Gesicht nach unten, tot.
12
Der Mann in einer verriegelten Toilette der Bedürfnisanstalt am Rande der Gruppe 55 stand auf der Brille des Klosetts. Der Lauf seiner Waffe ragte noch aus der Luke, die sich unter der Decke des kleinen Raums befand. Es war eine amerikanische ›Springfield‹, Modell 03, Kaliber 7.62 Millimeter, Patronenlänge 75 Millimeter, Gewehrlänge 1250 Millimeter, Magazin mit zehn Schuß, aufgesetztes Zielfernrohr. Dieses inklusive wog das Gewehr nur 4,3 Kilogramm.
Der Mann trug einen rostbraunen Dufflecoat und schwere Schuhe, hatte ein viereckiges Gesicht, einen breiten Unterkiefer, Sommersprossen und eine kurze, wulstige Narbe, welche über die Stirn lief. Sein blondes Haar war zu einer Igelfrisur geschoren, die dem gutmütigen alten Pförtner beim Hauptportal aufgefallen war, als dieser Mann in einem großen weißen Lincoln ihm einen Hundertschillingschein zum Wechseln gab, um danach wie ein Irrer, mit wimmernden Pneus, in den Friedhof hineinzurasen. Der Mann hatte seine Geschwindigkeit sehr schnell auf die vorgeschriebenen zwölf Kilometer pro Stunde reduziert, denn an nichts lag ihm weniger als daran, aufzufallen. Er war nur in außerordentlicher Eile gewesen. Zum Glück kannte er den Zentralfriedhof von früheren Besuchen her.
Die Wangen dieses Mannes hatten sich gerötet. Er sah jünger aus, als er war, nämlich einundvierzig. Er hatte den Koreakrieg mitgemacht. Am 25. April 1951, nachts, während eines Angriffs der Nordkoreaner bei Munsan-ni, war sein Kompaniechef, ein gewisser Lieutenant Charles J. Deeping, ums Leben gekommen – durch Kopfschuß. Die Kugel stammte aus einem amerikanischen ›Springfield‹-Gewehr, Modell 03. Der Tat dringend verdächtig war der Sergeant First Class Howard Kane. Er wurde vor ein Kriegsgericht gestellt, wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen (Rachsucht) für schuldig befunden und hingerichtet, stand in der Armeezeitung ›Stars and Stripes‹. Drei Tage, bevor es in der Zeitung stand, befand sich der braunhaarige Howard Kane, dessen Gesicht mit Sommersprossen übersät war, in Washington, wo er einige etwas längere Unterredungen hatte. Unmittelbar nach der letzten Unterredung reiste er, anhanglos, nicht verheiratet, ehemals Schwachstromtechniker in Chikago, nach New York, hieß David Parker, hatte Papiere auf diesen Namen und nicht mehr gewelltes braunes, sondern kurzgeschorenes blondes Haar. Seit jenem Tage bis zum heutigen übte er einen anderen Beruf aus. Der ehemalige Sergeant First Class Howard Kane, seit langem der Geschäftsreisende David Parker, warf einen letzten Blick durch das Zielfernrohr seiner
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