Und Jimmy ging zum Regenbogen
Klever, dieser Piefke, gesagt? Im Reichssippenhauptamt legen sie auf solche Prozesse den größten Wert.
Der Kurator Kummer denkt: Ich habe ja gewußt, dieser Forster führt noch etwas im Schilde. Trick natürlich. Aber ein gerissener Kerl. Was mir das persönlich scheißegal ist, ob der Bub ein Arier ist oder nicht, oder ob er durch einen Trick einer wird oder auf ehrliche Weise! Es sieht scheußlich aus an den Fronten. Das geht schief, es muß schiefgehen. Und wenn ich jetzt noch sehr das Maul aufreiße – was wird nachher aus mir? Immer mit der Ruhe. Wegen einem kleinen Halbjuden werde ich mir nicht die Zukunft vermasseln.
Der rosige Vorsitzende erkundigt sich höflich: »Um welchen zweiten Mann handelt es sich, Herr Rechtsanwalt?«
»Um Herrn Ludwig Orwin, Herr Vorsitzender.«
»Orwin? Orwin? Da war doch ein Bildhauer, der hieß …«
»Das ist der Mann, Herr Vorsitzender.«
»Aber der ist lange tot!«
Forster sieht Arnold unbewegt an.
»Er kam 1934 bei einem Eisenbahnunglück vor Hamburg ums Leben, am vierundzwanzigsten August.«
Püh! denkt der Vorsitzende. Wenn das nicht die Wahrheit ist, dann ist es eine prima Erfindung.
Donnerwetter, denkt der Kurator, ein Einfall, muß man zugeben.
»Herr Orwin wurde am fünften Januar 1894 geboren«, sagt Forster, ein Blatt konsultierend. »Er lernte meine Mandantin später als Herr Landau kennen – nur einige Monate später –, ebenfalls, als sie ein Museum besuchte, und auch er wurde anschließend ein sehr guter Freund von ihr, der häufig bei dem Ehepaar Steinfeld eingeladen war.«
»Frau Steinfeld, wollen Sie einmal vortreten, bitte?« (Immer an den Ministerialrat Klever, diesen Piefke, denken. Sie loben mich und meine Verhandlungsführung über den grünen Klee in Berlin. Also Ruhe und Höflichkeit. Ein Oberlandesgerichtsrat steht ins Haus, Herrschaften!)
Valerie ist vor den Richtertisch getreten. Diesmal hat sie nicht so viele Beruhigungsmittel genommen. Sie sieht blaß aus. Tiefe Schatten liegen unter den Augen, die so glanzlos sind wie die hellen Haare. Hielt man Valerie früher stets für jünger, als sie war – nun schätzte jeder sie im Gegenteil älter ein, als sie ist. Eine verblühte, verhärmte und traurige Frau, die sich mit großer Kraftanstrengung um Haltung bemüht …
In der linken Hand hält Valerie das kleine bleierne Glücks-Reh aus dem Knallbonbon, das schon zweimal die Strecke Wien–Madrid–Lissabon–London geflogen war.
»Frau Steinfeld«, sagt der Vorsitzende, väterlich geradezu, findet er selber, »das wäre also Ihre neue Einlassung?«
»Ja, Herr Direktor.«
»Sie wissen, daß Sie uns hier die Wahrheit und nur die Wahrheit sagen müssen.«
»Ich weiß es.«
»Warum haben Sie dann bisher nichts von Ihren intimen Beziehungen zu diesem Herrn Orwin berichtet?«
»Ich war der festen Überzeugung, daß Herr Landau der Vater meines Sohnes ist!«
»Aber Sie hatten doch, nach eigener Angabe, auch mit Herrn Orwin Kontakte.«
Unheimlich, wie ruhig ich bin, denkt Valerie und sagt: »Das stimmt. Einige Monate lang, sehr intensiv, 1924 war das, im Herbst. Dann, als mein Mann – ich meine Paul Steinfeld – 1925 so lange verreist war, kam es im August 1925 noch einmal zu Intimitäten …«
»Einmal?« ruft der Kurator dazwischen. Etwas muß man schließlich tun, sonst heißt es wieder, man vernachlässigt seine Pflicht.
»Dreimal«, antwortet Valerie. »Mit Herrn Landau war der Verkehr viel häufiger. Wir waren auch nicht vorsichtig. Das war Orwin allerdings auch nicht immer. Deshalb hatte ich fest geglaubt, meinen Sohn mit Martin Landau gezeugt zu haben, und deshalb …« Sie bricht ab und starrt den Richter Arnold an, bis der tatsächlich rot wird.
Forster steht auf.
»Herr Vorsitzender, ich bitte zu bedenken, wie furchtbar beschämend das alles für meine Mandantin ist!«
»Das sehe ich vollkommen ein, Herr Rechtsanwalt.« Arnolds Stimme wird samtweich. »Aber schließlich hat
sie
diesen Prozeß angestrengt. Wir müssen die Wahrheit finden, nicht wahr? Darum geht es doch vor allem Ihnen, Frau Steinfeld, wie?«
»Ja«, sagt Valerie. »Selbstverständlich. Ich sehe auch ein, daß ich das alles gleich hätte angeben müssen. Ich habe es aus Scham unterlassen. Aber nun bleibt mir kein anderer Weg mehr. Ich bitte das Gericht um Verzeihung dafür, daß ich unvollständige Angaben gemacht habe.
Unvollständige
– nicht
unwahre.
«
»Sie werden mir recht geben, Frau Steinfeld, wenn ich sage, daß uns das vor eine
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