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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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die denn abgezogen worden sein, die Armeegruppe Donau, kannst du mir das sagen? Gibt’s überhaupt noch eine heile, eine ganze Armeegruppe? Wir sind verraten und verkauft hier unten! Wir werden den Arsch so vollkriegen, daß wir Gott danken können, wenn wir nicht alle verrecken!«
    »Halt sofort deine Fresse, du feige Sau!«
    Erwin fuhr herum. Erschrocken sah er seinen Freund an.
    »Wie redest du denn?« zischte Heinz. »Bist du verrückt geworden? Wir
müssen
diesen Kampf gewinnen – es wäre sonst das Ende Deutschlands! Das Ende des Abendlands! Aber wir werden siegen – die neuen Wunderwaffen stehen unmittelbar vor dem Einsatz! Wenn wir erst mit ihnen losschlagen, wird die Welt den Atem anhalten! Und da quatscht ein blöder Hund wie du von Arsch vollkriegen! Das ist … das ist …« Heinz wischte sich Speichel vom Mund und murmelte: »Entschuldige, ich hab es nicht so gemeint! Sag doch etwas. Sag, daß du wieder gut bist!« Jetzt war Heinz’ Gesicht ganz kindlich unter dem schweren Stahlhelm. »Erwin, bitte! Ich hab auch was für dich! Schokolade! Du bist doch so verrückt nach Schokolade. Ich habe einen ganzen Riegel … warte, ich gebe ihn dir …«
    »Ach, Scheiße. Ist ja schon wieder in Ordnung.«
    »Nein, du sollst ihn haben.« Heinz richtete sich auf, um den Brotbeutel zu öffnen, der hinter ihm an einer Wurzel hing. Sein Kopf tauchte dabei über den Grabenrand. Im nächsten Moment hörte man den Abschuß einer ›Ratschbumm‹.
    Erwin Traun warf sich auf den Boden, das Gesicht in die feuchte Erde gepreßt. Die Granate, jenseits der Raab abgefeuert, explodierte Sekundenbruchteile später direkt über ihnen. Erwin hörte das Krachen und Schwirren der Splitter. Er preßte sich in den Dreck. Neben sich fühlte er plötzlich den Körper seines Freundes.
    »Du dämlicher Hund«, fluchte Erwin. »Was mußt du deine Nase auch in die Luft stecken! Na, ist ja noch mal gutgegangen.« Er richtete sich etwas auf und schrie unterdrückt:
»Heinz!«
    Heinz Steinfeld lag auf dem Rücken, die Augen weit aufgerissen, die Zähne entblößt. Bei jedem Atemzug quoll ein Schwall Blut aus seinem Mund. Blut sickerte auch aus der zerfetzten Uniformbluse über der linken Brustseite, mehr, mehr, entsetzlich viel Blut, der Grabenboden wurde rot, und in dem Blut, das da verströmte, lag ein Stück Schokolade …
    »Heinz … Heinz …« Erwin Traun kniete nun neben dem Verwundeten. Er brüllte, so laut er konnte: »Sanitäter! Hierher! Schnell! Beeilt euch, ihr Säcke! Steinfeld hat es erwischt!«
    Stimmen aus der Umgebung antworteten.
    Erwin neigte sich über Heinz.
    »Sie kommen schon, Junge, sie kommen. Gleich sind sie da …«
    Mit einem Verbandpäckchen versuchte er das Blut zu stillen, das aus Heinz’ Brust schoß. Der Mull war sofort durchtränkt. Ein großer Splitter mußte Heinz getroffen haben. Sein Atem ging nun plötzlich flacher, langsamer, das Blut quoll hellrot aus seinem Mund. Das Gesicht war weiß.
    Erwin Traun legte dem Freund eine Hand auf die Stirn, wischte den Schweiß fort, hörte Heinz etwas sagen, erstickt, unverständlich durch das Blut, das dieser dauernd erbrach.
    »Nicht reden … red nicht, Heinz …«
    »Deutschland«, gurgelte Heinz Steinfeld plötzlich, deutlich verständlich. Er hob den Kopf und sah seinen Freund aus schon blicklosen Augen an.
    »Deutschland wird …«
    Der Kopf fiel zurück.
    Durch den Graben hörte Erwin Traun Stiefel herantrampeln. Die Sanitäter, dachte er, während Tränen über seine Wangen rollten. Sie kommen zu spät. Er ist tot. Heinz ist tot …

65
    »Am nächsten Tag begann der russische Angriff. Ich bin im ersten Durcheinander abgehauen. Habe mich durchgeschlagen bis nach Tirol«, sagte Erwin Traun am 12. Dezember 1945 im Teekammerl der Buchhandlung Landau. »Jetzt habe ich mich wieder nach Wien gewagt … Ich bin seit gestern hier … Heinz hat mir so viel von Ihnen erzählt, Frau Steinfeld … So habe ich gewußt, wo Sie arbeiten …«
    Erwin Traun, mager, in einem Monteuranzug, der ihm nicht paßte, hockte frierend auf dem defekten Sofa und sah ängstlich Valerie Steinfeld an, die vor ihm saß. Hinter Valerie stand Martin Landau, der eine Hand an das Herz gepreßt hielt und stammelte: »Entsetzlich … das … das ist ja entsetzlich …«
    Erwin Traun war die schmale Frau mit dem hellen Haar und den erloschenen Augen unheimlich. Warum sagte sie nichts? Warum schrie sie nicht? Warum brach sie nicht zusammen? All das hatte er erwartet und

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