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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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befürchtet und war entschlossen gewesen, es in Kauf zu nehmen. Doch diese Stille, diese Starre …
    »Heinz hat gewiß kaum leiden müssen, er war gleich tot. Glauben Sie mir! Bitte, glauben Sie mir doch!«
    »Ich glaube Ihnen«, sagte Valerie. Sie sah über den Jungen hinweg die Bücherwand an. Ihr Blick blieb auf zwei dicken Bänden haften. Es waren der erste und der zweite Band eines Werkes mit dem Titel: ›Der Glaube der Hellenen‹ von Karlheinz Trockau in der Bearbeitung von Merian und Stähelin.
    »Valerie! Ich … ich hole schnell den … den Doktor Billa!« stotterte Landau.
    »Unsinn, bleib da!«
    »Aber wie du ausschaust … Der Doktor Billa hat gesagt, nach deinem ersten Kollaps müssen wir …«
    »Sei still«, sagte Valerie. »Sei still, Martin. Ich habe gewußt, daß Heinz tot ist.«
    »Was?« rief der Junge auf dem Sofa.
    »Was?« rief Landau. »Wieso hast du es gewußt? Seit wann?«
    »Seit der russische Offizier kam und sagte, daß Paul gestorben ist. Damals, bevor ich zusammenbrach, draußen bei dem Bären, ehe ich das Bewußtsein verlor, da habe ich einen Moment lang ganz genau gewußt: Auch Heinz ist tot. Und seither habe ich mit dieser Gewißheit gelebt …«
    »Die Granate, die ihn getötet hat …«, begann Erwin, aber Valerie unterbrach ihn: »Es war nicht eine Granate.«
    »Ich verstehe nicht …«
    »Meinen Jungen hat nicht eine Granate getötet«, sagte Valerie Steinfeld, die beiden Bücher betrachtend, mit denen vor so langer Zeit ein großes Abenteuer begonnen hatte …

66
    »›Meinen Jungen hat etwas ganz anderes getötet‹, sagte Valerie, ›und zwar ein Mensch. Ein Mensch hat meinen Jungen auf dem Gewissen!‹« Daniel Steinfeld hielt Irene seine Tasse hin, die sie neuerlich mit Tee füllte. »Danke, liebes Kind. Ja, so war das mit Heinz. So erfuhr es Valerie damals, im Dezember 1945, von seinem Freund. Und das sagte sie ihm – mir sagte sie es drei Jahre später, 1948, als ich sie besuchte.«
    Steinfelds Worten folgte eine lange Stille.
    Endlich sagte Manuel: »Es war also umsonst. Alles, was Valerie Steinfeld getan hatte, um ihren Jungen zu retten.«
    »Vollkommen umsonst.« Der alte, kranke Mann nickte. »Aber damit war die Geschichte für Valerie noch nicht zu Ende! O nein! Sie verrannte sich langsam in eine fixe Idee. Sie war nicht mehr von ihr zu befreien. Nicht eine Granate, ein Mensch hatte ihren Buben getötet!«
    »Wer, Daniel? Wer?« rief Irene.
    »Dieser Professor Friedjung, der Direktor der Chemieschule.«
    »Friedjung?« Manuel starrte Steinfeld an.
    »Karl Friedjung, ja. Mit dem hatte alles begonnen. Der hatte ihren Buben aus der Schule geworfen und ihn angezeigt. Und damit erreicht, daß Valerie diesen Prozeß, den sie zuerst unter keinen Umständen führen wollte, dann doch führte – und zuletzt gewann!«
    »Ich verstehe«, sagte Irene. »In ihrer Verzweiflung dachte sie nun so: Wenn es keinen Friedjung gegeben hätte, dann hätte es auch keinen Prozeß gegeben, dann wäre Heinz nicht an die Front gekommen, dann wäre er vielleicht am Leben geblieben – wie so viele andere Mischlinge auch …«
    »Das dachte sie, ja«, sagte Steinfeld. Er schlürfte den heißen Tee.»Ihr Geist hatte sich völlig verdreht. Was einmal richtig gewesen war, war nun falsch. Was einmal die Rettung bedeutet hatte, bedeutete nun den Untergang, das Unglück, das Ende. Und schuld an allem Unglück, allem Elend, an Tod und Verderben war dieser Friedjung für Valerie, dieser Karl Friedjung. An ihn mußte sie denken, immer … immer … Was haben Sie, junger Mann?«
    »Aber dieser Friedjung war doch auch tot!« rief Manuel. »Das mußte Frau Steinfeld doch wissen, wenn sie sich so mit ihm beschäftigte!«
    »Sie wußte es. Man sagte es ihr. Man zeigte ihr den Totenschein und alle übrigen Dokumente«, antwortete Steinfeld. »Es änderte nichts. Die fixe Idee wuchs und wuchs. Außerdem: Man muß nicht unbedingt mehr leben, um schuld an etwas gewesen zu sein.«
    Manuel stand auf. Er rieb seine Stirn.
    »Martin Landau war dabei, als dieser Junge die Nachricht überbrachte?«
    »Das erzählte ich doch!«
    »Und er war auch dabei, als der russische Offizier die Nachricht vom Tod Paul Steinfelds brachte. Er ist außer Valerie der einzige, der die Wahrheit wirklich erfahren hat. Einmal, als ich ihn fragte, ob Frau Steinfeld den Prozeß gewonnen hätte, sagte er: ›Sie hat ihn gewonnen, und sie hat ihn verloren. Wenn Sie alles gehört haben, werden Sie verstehen, was ich meine.‹

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