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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Das verstehe ich jetzt auch. Etwas anderes verstehe ich nicht.«
    »Was?«
    »Frau Steinfeld hat immer neue Versionen über den Tod ihres Mannes und ihres Sohnes verbreitet.« Der alte Mann nickte. »Warum? Warum tat sie das, Herr Steinfeld?«
    Der neunundsechzigjährige Jude, Pole, ehemals Wiener, vertrieben aus Warschau, unterwegs nach Israel, antwortete: »Sie können das nur verstehen, wenn Sie sich ganz in Valerie hineindenken. Wahrscheinlich geht das gar nicht. Eine Frau – Irene! – wird es eher können. Sehen Sie: Valerie hatte
einen
glücklichen Augenblick: Als die Nachricht vom Reichsgericht in Leipzig kam, daß der Prozeß gewonnen sei.«
    »Aber noch am gleichen Abend war es mit dem Glück zu Ende. Denn da erklärte Heinz, er würde sich zur Waffen- SS melden«, meinte Manuel.
    »Richtig! In diesem Moment muß Valerie einen furchtbaren Schock erlitten haben. So sah das also aus – nach allem, was sie und die anderen getan hatten. Das war der Lohn der Angst, der Dank ihres Sohnes.«
    »Es folgte Streit mit Heinz, es folgten Zerwürfnisse …« Irene sah Steinfeld an.
    »Eines folgte auf das andere«, sagte dieser. »Der Verzweiflung folgte die Furcht um Heinz. Wochenlang keine Zeile von ihm, Valerie fing an, sich Vorwürfe zu machen. Hätte sie den Prozeß doch nicht geführt! Aber sie mußte ihn führen – wegen Friedjung! Der war an allem schuld. Aber wie schuldig war sie selber? Sie begann, sich anzuklagen, immer heftiger. Die Nachricht vom Tod ihres Mannes kam. Ein neuer Schlag! Paul tot! Und dann kam die Mitteilung vom Tod des Buben. Das war die Klimax! Das ertrug sie nicht mehr. Begreifen Sie das?
Sie konnte die Wahrheit nicht ertragen!
Die Wahrheit durfte nicht wahr sein. Denn blieb auch Friedjung schuld, so blieb sie schuldig wie er! Das redete sie sich ein, Tag und Nacht. Und sie
wollte
nicht schuldig sein! Sie
ertrug
das nicht!«
    »Und deshalb begann sie zu lügen«, sagte Irene. »Ungeschickt. Hilflos. Dem erzählte sie dieses, dem andern jenes. Lügen, um selber nicht schuldig zu sein, ja, ich kann das begreifen. Valerie war nicht schuld, wenn ihr Mann bei einem Luftangriff ums Leben kam, wenn er sich von ihr scheiden ließ, wenn er eine andere Frau heiratete. Sie war nicht schuld, wenn ihr Sohn nach Amerika oder nach Kanada auswanderte, wenn er dort einen Autounfall erlitt. Sie war nicht schuld! Sie war nicht schuld! Das hielt sie in Bann. Das ließ sie lügen, immer neue Lügen erfinden. Kannst du das nicht auch verstehen, Manuel?«
    »Doch«, sagte er. »Ich glaube.«
    »Nur Valerie und Martin wußten die Wahrheit, und Martin hat sie nie verraten!«
    »Agnes«, sagte der alte Mann. »Agnes wußte gleichfalls Bescheid. Diese drei Menschen. Und diese drei Menschen hielten zusammen und schwiegen.«
    »Vier Menschen«, sagte Manuel. »Auch Sie, Herr Steinfeld.«
    »Ich auch, ja … Ich«, sagte Steinfeld langsam, »weiß sogar Bescheid darüber, was Karl Friedjung und Valerie einst miteinander erlebt haben …«

67
    Deutlich erkennbar für das geschulte Gehör des Professors rastete die dritte Zahl ein. Er drehte sich um, nahm wieder die Gabeln des Stethoskops aus den Ohren und sagte zu Jean Mercier, der ihn wie eine himmlische Erscheinung ansah: »Das wäre die 1.«
    Mercier schluckte. Er konnte vor Aufregung nicht sprechen.
    Der Professor notierte in der ihm eigenen Kurzschrift alle Bewegungen des Konus, die er durchgeführt hatte, um diese dritte Kombinationszahl zu finden, und schrieb sie endlich am Kopf des Blattes neben die beiden anderen.
    Jetzt stand da: 8 4 1.
    Der Professor setzte sich schweigend in den Sessel des Anwalts Stein. Die Bügel des Stethoskops hingen ihm um den Hals, die Gummischnur baumelte herab. Aus der großen Koffertasche holte Anton Sirus ein blaues Buch.
    Mercier verdrehte seinen Kopf und las den Titel: CLAUDE MONET  – MENSCH UND WERK .
    »Was soll das?« fragte er verblüfft.
    »Mein Herr«, sagte der Professor sanft, »Sie können sich vielleicht vorstellen, welche ungeheure geistige Konzentration notwendig ist, um meine Aufgabe zu lösen.«
    »Natürlich …«
    »Nun. Ich habe erst drei Zahlen gefunden. Der größte Teil der Arbeit liegt noch vor mir. Ich muß mit meinen Kräften haushalten. Darum schalte ich für einige Minuten vollkommen ab. Das habe ich immer so getan.«
    »Gewiß … Wenn Sie das so gewohnt sind …« Menschen gibt es! dachte Mercier.
    »Und darf ich Sie bitten, wieder zu schweigen«, sagte der Professor.
    Mercier sah Sirus

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