Und Jimmy ging zum Regenbogen
und gestritten. Über Lächerlichkeiten. Unsere Eltern waren sehr unglücklich. Aber sie konnten auch nichts machen. Paul war der Ältere. Ich habe fest geglaubt, daß meine Eltern ihn mehr liebten als mich … Unsinn natürlich, aber ich habe es geglaubt …«
Der alte Mann, der entschlossen war, noch auszuziehen in das ferne Land seiner Ahnen, hob die Hände. »Und dann die Mädchen …« Steinfeld lächelte. »Eine, die liebte ich ungeheuerlich! Sie lernte Paul kennen und verliebte sich in ihn, und er nahm sie mir weg … So lief das immer weiter … Er hatte schon Erfolg in seinem Beruf, da quälte ich mich noch mit Prüfungen herum … Mir ging erst ganz spät der Knopf auf … Und ich war neidisch und ungeduldig, ja, ich glaube, ich bin schuld an dieser schlechten Bruderbeziehung …« Steinfeld trank, er sagte: »Ich war auch sehr unreif und konnte Rückschläge nicht ertragen … Es hat lange gedauert, bis ich gelernt habe: Wer sein Leben will, der braucht dazu ein Herz, das dem Leiden gewachsen ist. Ein Mensch muß wissen, daß die Zeiten bald gut und bald schlecht sind. Und
der
Mensch allein ist achtenswert, der für das Gute dankbar ist und das Böse zu ertragen versteht …«
Wieder trank Steinfeld. »Wunderbarer Tee«, sagte er. »Als dann unsere Eltern starben, 1919 und 1920, knapp hintereinander, da kamen wir ganz auseinander, der Paul und ich. Wenn es je Momente gab, in denen wir uns wie Brüder benahmen, dann hat diese Momente immer Valerie herbeigeführt, unser guter Engel … Jetzt ist auch sie tot … 1948 saß sie hier mit mir – so lange ist das schon her! Sie hatte wohl ihre schlimmste Zeit. Denn da war ja auch noch ihr Bub, der Heinz … Im Dezember 1945 hat sie alles über ihn erfahren … von einem anderen Jungen … Ich weiß nicht mehr, wie er hieß …«
64
Er hieß Erwin Traun, und er war ein Jahr älter als Heinz Steinfeld, und sie waren Freunde geworden in der Waffen- SS . Sie gehörten zum gleichen Zug der gleichen Kompanie, sie stammten beide aus Wien, und Heinz bewunderte den starken und großen Erwin. Erwin bewunderte an Heinz dessen Intelligenz und Tapferkeit, die schon an Tollkühnheit grenzte. Der 15. März 1945 war ein warmer, schöner Tag mit Sonnenschein und blauem Himmel. Auf den Wiesen wuchs neues Gras, der Schnee war fortgeschmolzen. An eine in größter Eile westlich der Donau angelegte Verteidigungslinie mit Gräben, Panzersperren, Stacheldrahtverhauen und Mienenfeldern waren starke Einheiten verschiedener SS -Divisionen geworfen worden, denn die Sowjets standen nun, nach der Einnahme von Budapest im Februar, unmittelbar vor dem Angriff auf Wien. Riesige Mengen von Menschen zogen sie in ihren Bereitschaftsräumen zusammen, um beiderseits der Donau vorzustoßen.
Am Vormittag dieses 15. März war es in dem Abschnitt, in dem die Kompanie lag, zu der Erwin Traun und Heinz Steinfeld gehörten, völlig still. Kein Schlachtflieger dröhnte über den Himmel, nicht ein Schuß fiel, die Artillerie schwieg. Es war, jeder wußte das, die Ruhe vor dem Sturm. In einem hastig ausgehobenen Graben hockten Erwin und Heinz hinter einem schweren Maschinengewehr und beobachteten unausgesetzt das andere Ufer der schmalen Raab, die hier, nahe der Stadt Györ, vorüberfloß. Ihr Wasser war klar, an den Ufern sah man helle Kiesel und dunklen, spitzen Schotter. Von der Verteidigungslinie fiel das Gelände flach über Wiesen und Felder zum Fluß ab. Jenseits der Raab gab es dichten Wald. Aus ihm, das war klar, würden in Kürze die Sowjets zum Angriff heraus antreten.
»Mensch«, sagte Erwin Traun, seinen Stahlhelm aus der Stirn zurückschiebend, »wenn es nun losgeht, dann halten wir den Iwan hier keinen halben Tag auf, das ist dir wohl klar.«
»Wir
müssen
ihn aufhalten!« Heinz Steinfeld, an dem schweren MG , sprach leidenschaftlich: »Wir bekommen Verstärkungen.«
»Verstärkungen, mein Arsch«, sagte Erwin. »Woher denn?«
»Von Norden. Eine ganze Armeegruppe. Armeegruppe Donau!«
»Heinz! Im Norden steht der Iwan schon an der Donau! Da kommt kein Schwein mehr durch! Deine Armeegruppe Donau, die gibt’s nicht!«
»Es gibt sie! Der Alte hat es gesagt, gestern abend. Und der Alte lügt nicht! Sie haben die Russen zurückgeschlagen im Norden. Wenn die erst hier sind, dann wird vielleicht was losgehen! Warum, glaubst du, wartet der Iwan ab? Warum bleibt er in den Wäldern drüben und kommt nicht über den Fluß?«
»Scheißhausparolen«, schimpfte Erwin. »Wo soll
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