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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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sagte er gleichmütig.
    »Die erste Zahl?« Mercier sprang auf.
    »Nicht so laut! Es ist erst die erste Zahl, ja. Die 8.«
    »Eine von sieben Zahlen haben wir schon!« Mercier war plötzlich außer sich. »Mit etwas Glück …«
    Der Professor hob eine Hand. Die Knöchel der anderen klopften auf den Schreibtisch.
    »Sagen Sie dieses Wort nie wieder«, sprach er streng.
    »Verzeihung«, stammelte Mercier.
    »Die erste Zahl findet jeder Idiot.« Der Professor hob die Brauen über den klaren Augen des scharfgeschnittenen Gesichts. »Wissen Sie, was die erste Zahl ist?«
    »Was?«
    »Der Eingang in das Labyrinth, sonst nichts.« Sirus nickte versonnen. »Nun sind wir im Irrgarten.« Er trat an den Schreibtisch, und in einer eigenen Kurzschrift hielt er auf dem Block fest, mit welchen Bewegungen des Konus er zu der ersten richtigen Zahl gekommen war. Danach wandte er sich wieder dem Tresor zu. Seine Finger ergriffen neuerdings den Einstellknopf und begannen ihn zu bewegen, Millimeter um Millimeter …

63
    Daniel Steinfeld sagte: »Ich sah Valerie zum letztenmal im Juli 1948. Da war ich in Wien bei einem internationalen Treffen ehemaliger Widerstandskämpfer. Ich habe ein paar Tage hier gelebt.« Der Neunundsechzigjährige sah sich in dem großen Zimmer um, in dem er mit Irene und Manuel saß. Daniel Steinfeld machte einen erschreckenden Eindruck. Sein Anzug hing schlotternd an der großen Gestalt. Gelblich spannte sich die Haut über die Knochen des hageren Gesichtes mit den blutleeren Lippen und den eingefallenen Wangen. Gelblich waren auch die müden Augen und die Haut des kahlen, mit braunen Pigmentflecken übersäten Kopfes. Gelblich waren die knochigen Finger. Daniel Steinfeld sprach immer noch mit einem Wiener Akzent. Der ›Chopin-Expreß‹, der ihn nach Wien gebracht hatte, war mit vielstündiger Verspätung erst um 15 Uhr 45 auf dem Ostbahnhof eingetroffen.
    »Was ist mit Valerie?« hatte der alte Mann sofort nach der Begrüßung gefragt.
    Sie hatten es ihm erzählt, in Manuels Wagen, auf der Fahrt vom Bahnhof in die Gentzgasse. Schweigend hörte Daniel Steinfeld alles an, die Augen geschlossen, so daß man glauben konnte, er sei vor Erschöpfung eingeschlafen. Doch er schlief nicht. Ohne die Augen zu öffnen, stellte er von Zeit zu Zeit Fragen, wenn er nicht gleich die Funktion von Personen oder gewisse Zusammenhänge verstand, nickte dann und lauschte weiter. Er zeigte weder Entsetzen noch Abscheu oder Furcht. Als Irene die letzten Worte ihres Berichtes gesprochen hatte, murmelte er, in die Ecke des Fonds gerückt, die Hände in den Taschen, den Hut tief in der Stirn, frierend und leise: »Gott hat gegeben, Gott hat genommen.«
    Sie luden Steinfelds Gepäck – zwei Koffer – aus und fuhren mit dem alten Mann in dem Aufzug, der ruckte, ächzte und wackelte, zur Wohnung hinauf. Heinz’ Zimmer war für ihn hergerichtet worden. Steinfeld sagte, er sei etwas müde und würde gerne ein wenig schlafen.
    Er schlief bis halb neun Uhr abends, tief und fest. Manuel und Irene, die heute nicht in die Apotheke gegangen war, saßen in dem großen Zimmer, sprachen leise miteinander und warteten geduldig, bis Steinfeld, entschuldigend lächelnd, wieder auftauchte.
    »Ich war doch viel müder, als ich gedacht habe …«
    Sie aßen im Speisezimmer – Steinfeld erhielt eine Diätmahlzeit, die Irene entsprechend schriftlichen Anweisungen eines polnischen Arztes zubereitet hatte. Nach dem Abendbrot kehrten sie in das Wohnzimmer zurück. Hier tranken sie Tee. Tee durfte Steinfeld trinken, es war seine ganze Freude. Und während er, die Tasse haltend, von Zeit zu Zeit einen Schluck schlürfend, zusammengekauert dasaß, das Gespenst eines Mannes, der, dies zeigte sein Anzug, einst stark und kräftig gewesen war, hatte er zu erzählen begonnen …
    »… 1948, ja, im Juli … Schlecht hat sie ausgesehen, die Valerie, elend schlecht. Wie eine alte Frau. Und sie war doch noch gar nicht alt! Einmal war sie ein schönes Mädchen gewesen! Aber nun lebte sie tief versunken in ihren Schmerz. Alles hat sie mir erzählt, damals … daß der Paul gestorben ist in London, ganz knapp vor Kriegsende noch, an inneren Blutungen … Es war auch für mich ein großer Schock, obwohl wir uns nicht gut verstanden haben, der Paul und ich …«
    »Warum eigentlich nicht, Onkel Daniel?«
    »Nenn mich Daniel, Irene, bitte.«
    »Gerne …«
    »Ja, warum nicht? Wir haben uns nie verstanden, schon als Kinder nicht. Immer haben wir uns geprügelt

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