Und Jimmy ging zum Regenbogen
Westen, beim Lainzer Tiergarten. Hier, in einem Park, lag die Villa, die Flemming bewohnte – ein mächtiger Rundbau, der aussah wie ein breiter Turm, mit gewundenen Steinornamenten im Jugendstil, aber auch mit blauen, roten und gelben Mosaikmustern verziert. Dieses Haus, das an ein Gebäude aus den Geschichten E. T. A. Hoffmanns erinnerte, hatte in den zwanziger Jahren ein exzentrischer Wiener Bankier bauen lassen. Der Bankier war schon 1937 emigriert, das Haus hatte von da an dauernd die Besitzer gewechselt, zuletzt war es vom Auswärtigen Amt gekauft worden. Für Flemming allein wäre es viel zu groß gewesen. Man hatte es ihm zugewiesen – und auch zahlreiches Personal –, denn hier übernachteten oder wohnten kürzere Zeit Kuriere, Agenten, Spitzel, Besucher aus Berlin und zwielichtige Gestalten verschiedener Nationalitäten.
Mit der größten Höflichkeit half Albert Carlson, der den ›Wanderer‹ auf der Kiesrampe vor dem Haupteingang zum Halten gebracht hatte, Nora Hill beim Aussteigen. Er trug eine graue Uniform mit Schirmkappe. »Ich bringe sofort das Gepäck!«
Nora nickte und ging die drei Stufen zum Eingang empor. Sie brauchte nicht zu warten, die Tür öffnete sich sofort. Ein Diener verneigte sich – er war von dem Wachposten, der im Gärtnerhaus bei der Parkeinfahrt Dienst tat, telefonisch verständigt worden.
»Oh, ich freue mich, Sie wiederzusehen, Fräulein Hill!«
»Ich mich auch, Konrad.« Nora ging an ihm vorbei in die große kreisförmige Halle des Hauses hinein, in der antike Möbel standen. In der Mitte sprudelte ein Springbrunnen. Das Bassin beherbergte seltene Fische. Tageslicht fiel durch ein Glasdach.
Nora Hill stieg die ebenfalls runde Treppe zum ersten Stock empor. Hier lag ihr Appartement. Ein Bad, dachte sie, ein heißes langes Bad jetzt. Sie blieb einen Moment auf der Treppe stehen.
»Ist etwas, gnädiges Fräulein?« fragte der Diener, der ihr folgte.
»Nein, gar nichts«, antwortete Nora, weitergehend. Sie hatte gedacht: Ob diese Valerie Steinfeld sich doch noch entschließt, den Prozeß zu führen? Und wenn nicht? Wenn ihrem Sohn dann etwas geschieht? Und wenn sie den Prozeß führt, und es geschieht ihm auch etwas? Herrgott, dachte Nora nun, während sie über einen runden Gang auf ihr Appartement zuging, es ist schlimm für Valerie Steinfeld. Nur mit sehr viel Glück wird sie sich und ihren Jungen durchbringen. Ach, aber wer braucht nicht sehr viel Glück, dachte sie, plötzlich wieder gleichgültig.
Vor der Villa hatte der grau uniformierte Chauffeur zwei schwarze Krokodillederkoffer aus dem Gepäckraum des Wagens genommen. Ein blauer Mantel und ein blauer Homburg lagen im Kofferraum. Chauffeur Albert Carlson, ein Mann mit hagerem, hungrig wirkendem Gesicht, stechenden Augen und zusammengewachsenen Brauen, legte eine Decke über Hut und Mantel, dann sperrte er den Kofferraum ab. Schon gut, daß ich das immer dabei habe, wenn der Alte mich losschickt, um Nora Hill zu holen, dachte er. Ich habe ja gewußt, einmal erwische ich sie bei etwas. Nun ist es soweit. Noch nicht weit genug. Ich muß noch mehr wissen. Und dann …
44
»Daß Albert mich mit diesem Mantel und diesem Homburg beschattete, ja, daß er überhaupt stets hinter mir her war, das wußte ich damals natürlich noch nicht«, sagte Nora Hill. »Das hat er mir erst später erzählt, viel später – der Dreckskerl.« Sie trank das Glas, das Manuel Aranda während ihres Berichtes noch zweimal gefüllt hatte, aus und zerdrückte eine Zigarette im Aschenbecher. Das Feuer des offenen Kamins brannte mit hohen, züngelnden Flammen. Funken sprühten, wenn ein Holzscheit brach. »Ach, was heißt Dreckskerl – ein Mensch eben«, sagte die so jugendlich wirkende Mittfünfzigerin in dem silbernen Abendkleid.
Manuel fragte hastig: »Was geschah mit diesem Chauffeur? Was geschah überhaupt weiter?«
Nora Hill lächelte, ihr breiter Mund öffnete sich und zeigte die schönen Zähne.
»Hier, mein Freund, unterbreche ich.«
»Wieso? Hören Sie …«
»Es tut mir leid. Aber ich bin nun zu einem Punkt gekommen, der es erfordert, daß andere eine Lücke in meiner Erzählung füllen. Was mit mir in den nächsten sechs Wochen geschah, ist uninteressant. Mit Valerie Steinfeld geschah eine Menge, wovon ich bis zum heutigen Tag nichts weiß. Sie wollen doch die Geschichte Valerie Steinfelds – oder?«
»Natürlich!«
»Nun, die
ganze
Geschichte kenne ich auch nicht. Ich sagte Ihnen eingangs, dies ist kein
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