Und keiner wird dich kennen
bei Frau Taardes, danach Mathe. Und sie liegt hier im Niemandsland, herausgeschleudert aus dem Alltag ... nichts hätte sie jetzt lieber als ebendiesen Alltag, der vielleicht dröge und nervig ist, aber wenigstens ihr gehört. Ihr und Lorenzo.
Hilft nichts , denkt Maja erschöpft. Hilft nichts. Find dich damit ab. Stell dir vor, er hätte mit dir Schluss gemacht. So was passiert doch dauernd. Damit wärst du auch irgendwie zurechtgekommen ...
Es ist Zeit, einen neuen Namen zu finden. Eigentlich hat ihr »Maja« ganz gut gefallen, aber das ist halt Pech. Jetzt kann sie immerhin heißen, wie sie will, sie hat die freie Wahl. Und natürlich fällt ihr nichts ein, noch immer fühlt sie sich, als hätte jemand sie in flüssigen Stickstoff getaucht. Schockgefroren. Spröde und brüchig. Wenn sie jetzt umkippt, wird sie klirrend in kleine Stücke zerbrechen.
Emily? Zoey? Ganz hübsch, aber nicht das Richtige. Lea? Chiara? Klingt auch toll, muss sie mal im Hinterkopf behalten. Celina? Fiona? Alissa? Schön, aber das ist einfach nicht sie, wie soll das gehen, dass einer davon zu ihrem Namen wird?
Nebenan, im Arbeitszimmer, liest Lila Elias aus seinem Vulkan-Buch vor, obwohl er eigentlich schon selbst lesen kann. Aber vielleicht ist das ein Ritual, das sie beide beruhigt. Ganz langsam, so als wäre sie krank gewesen, hebt Maja die Beine aus dem Bett und stellt beide Füße auf den Boden. Kurzer Blick auf die Uhr: Die anderen müssen ohne sie zu Mittag gegessen haben, es ist schon zwei Uhr. Trotz allem hat sie Hunger. Maja geht nach nebenan, in das ungemütliche Arbeitszimmer. Mit fragenden, etwas besorgten Blicken schauen Lila und Elias zu ihr hoch. Maja versucht so zu tun, als wäre alles in Ordnung, obwohl das lächerlich ist, weil ihr Gesicht wahrscheinlich rot, fleckig und verquollen aussieht. »Hey – wie findet ihr Celina?«, fragt sie beiläufig.
»Schön«, sagt Elias.
»Und wie wäre es mit Zoey?«
»Doof«, meint Elias. »Das klingt nach Zoo.«
»Macht doch nichts, Finn klingt auch nach Finnland«, gibt Maja spitz zurück. »Lila, weißt du schon, wie du heißen willst?«
Ihre Mutter ringt sich ein Lächeln ab. »Im Rennen sind zurzeit Franziska, Nicole und Julia.«
»Nicole?« Nur mit Mühe schafft es Maja, nicht das Gesicht zu verziehen. »Nicht schlecht, aber sehr ... äh ... normal. Durchschnittlich irgendwie.«
»Gut«, sagt Lila entschlossen. »Das passt. Ich will endlich ein normales Leben und dazu passt ein normaler Name!«
Schon klar. Bloß nicht auffallen. Achselzuckend geht Maja wieder rüber und listet alle Namen in ihrem Notizbuch auf, um weiter darüber nachzudenken. Es wäre so toll, eine kurze Umfrage über Facebook starten zu können, innerhalb einiger Stunden hätte sie jede Menge Kommentare dazu und sähe vielleicht etwas klarer. Tja, damit ist es vorbei.
Eine neue Umgebung hat den Vorteil, dass sie ihre beiden Spitznamen loswird. »Biene« zum Beispiel, wegen dieser Zeichentrick-Serie, die leider jeder zu kennen scheint. Biene Maja . Wenn sie anders heißt, hat sich das endlich erledigt. »Schnaufi« wird sie ja wohl auch keiner mehr rufen, den Namen hat sie sich beim Waldlauf eingefangen. Zu Anfang war sie einfach untrainiert, weil sie in Marburg wegen Robert Barsch so viel im Haus war. Seit sie mit Lorenzo laufen geht, hat sich ihre Fitness wieder eingependelt.
Nie wieder , flüstert eine Stimme in ihr. Nie wieder mit Lorenzo laufen gehen . Maja versucht, den Gedanken abzublocken, nicht an sich heranzulassen, doch es klappt nicht, schon fangen ihre Augen an zu brennen.
Unten klappert die Tür, Frau Singerl ist wieder da. Lila hat ihr Geld zum Einkaufen gegeben, da sie in der Eile des Packens ihre Haarbürste vergessen und außerdem keine Socken für Elias eingepackt hat. Außerdem können sie ja nicht die ganze Zeit irgendetwas zu essen schnorren und Lila hat ihnen für heute Abend Spaghetti versprochen. Da schaute Elias tatsächlich etwas fröhlicher drein. In dem Alter ist man noch so leicht zu trösten ...
Frau Singerl keucht die Treppe hoch, drei Paar rosa-weiß geringelte Söckchen in der Hand . Na, wenn Elias die sieht, wird er umfallen, denkt Maja mitleidig und hört mit halbem Ohr mit, wie die Singerl erklärt, dass sie im Geschäft in der Nähe keine anderen mehr hatten, und weiter schaffe sie es einfach nicht mit ihren schmerzenden Füßen.
Alissa.
Der Name hat sich in Majas Kopf gesetzt, kommt immer wieder zurück wie ein besonders hartnäckiger Ohrwurm. Ist
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