Und keiner wird dich kennen
irgendwie Lila, und das Kind, das von skrupellosen Organhändlern entführt wird, Elias. Doch leider sehen sämtliche Bände im Arbeitszimmer staubtrocken aus. Ovid. Shakespeare. Lessing. Sophokles. Muss sie alles schon oft genug in der Schule lesen.
Im Kinderzimmer kämpfen, den Geräuschen nach zu urteilen, Superdrachen und Power Ranger gegen den fiesen Grunk, der die Welt beherrschen will. Superhelden erträgt Maja auch nicht mehr, seit das mit Robert Barsch angefangen hat. Es ist so unglaublich albern, dass irgendwelche Typen in bunten Kostümen die Menschen beschützen, die Welt retten und alles wieder in Ordnung bringen sollen. Als ihre Freunde zusammen in den neuesten Spiderman gegangen sind, ist Maja daheim geblieben.
Plötzlich steht Elias neben ihr. »Maja?«, sagt er und zupft sie am Arm. »Sag mal, was würde eigentlich Jumpy machen, wenn wir wirklich wegziehen?«
»Jumpy?«, fragt Maja verdutzt, heute überrascht Elias sie ständig. »Aber die ist doch tot, Elias.«
»Weiß man doch nicht«, antwortet er geheimnisvoll. »Schließlich haben wir nur ihre Pfote gefunden, oder? Sie kann doch noch irgendwo leben, mit drei Pfoten halt. Natürlich humpelt sie dann, aber laufen könnte sie bestimmt noch.«
Majas Kehle wird eng, ihre Augen beginnen zu prickeln. »Ich glaube nicht, Eli. Aber vielleicht schon. Wer weiß? So, und jetzt gehst du langsam mal Zähne putzen, ja?«
Und aus irgendeinem Grund ist das der Moment, in dem ihre Entscheidung fällt. Wenn Lila und Elias dafür sind, unter anderem Namen irgendwo neu anzufangen, dann wird sie sich nicht mehr dagegen sperren.
Zehn Uhr abends. Elias ist im Bett, und Lila hat sich ebenfalls völlig erschöpft hingelegt, aber unten läuft noch der Fernseher. Maja schleicht sich die Treppe hinunter und geht zur Garderobe, tastet mit klopfendem Herzen nach dem Brief, der in der Innentasche ihrer Jacke steckt. Als plötzlich jemand in den Flur kommt, zuckt sie wie ertappt zusammen. Reiner Reflex. Hoffentlich denkt Frau Singerl jetzt nicht, dass sie ihr das Portemonnaie klauen wollte!
»Na, noch nicht müde?« Zum Glück klingt Frau Singerl freundlich. Immerhin, sie scheint nicht zu falschen Verdächtigungen zu neigen und mit etwas Glück hat sie von ihrem Gruppenschrei auch nichts mitbekommen.
»Ich ... dachte, ich schicke noch schnell einen Brief ab«, stammelt Maja. »Können Sie mir sagen, wo hier in der Nähe ein Briefkasten ist?«
»Gleich um die Ecke, einfach nach links gehen, wenn du aus dem Haus raus bist«, sagt Frau Singerl. »Musst nicht klingeln, wenn du wieder reinwillst, sonst weckst du ja das ganze Haus. Einfach kurz an die Tür klopfen.«
»Danke«, sagt Maja aus ganzem Herzen. Rasch schlüpft sie in ihre Jacke und windet sich ihren Schal halb ums Gesicht, damit sie nicht erkannt wird. Es ist ein Risiko, überhaupt nach draußen zu gehen. Aber in diesem Teil von Offenbach sind die Straßen nachts sowieso leer wie nach einem Atomkrieg.
Die Nachtluft ist kalt und klar. Majas Atem hüllt sie in einen dünnen Nebel. Sie findet den Briefkasten auf Anhieb, und als sie den Brief eingeworfen hat, fühlt sie sich einen Moment lang wie befreit. Endlich kann sie Lorenzo Bescheid geben. Schon ärgert sie sich, dass sie ihm keinen längeren Brief geschrieben hat, dazu wäre doch jetzt Zeit gewesen. Doch dann fällt ihr die Warnung der Polizeibeamtin ein. Denken Sie daran – zu keinem ein Wort .
Maja beißt die Zähne zusammen, dreht sich um und geht durch die dunklen Straßen zurück zum Haus von Frau Singerl.
Wer ist Alissa?
Das sieht ihr überhaupt nicht ähnlich , denkt Lorenzo in der Mensa der Schule, holt heimlich sein Handy hervor und versucht zum x-ten Mal, Maja zu erreichen. Überhaupt nicht. Entmutigt lässt er das Handy wieder in seine Tasche gleiten und stochert in seinem Essen herum.
Ist es seine Schuld, dass sie sich nicht meldet? War das Erste Mal ein Schock für sie? War er dabei zu grob gewesen?
»Du versuchst gerade, die Kartoffeln mit einem Löffel zu essen«, informiert ihn sein bester Freund Cedric. »Das ist zwar irgendwie originell, aber auch sehr ineffizient.«
»Oh.« Lorenzo legt den Löffel weg, stellt fest, dass er sowieso keinen Hunger hat, und schiebt das ganze Tablett von sich.
»Ich wette, du hast gerade an Sex gedacht.« Cedric pikt ein Stück Rahmgulasch auf, betrachtet es von allen Seiten verächtlich und schiebt es dann mit einer Grimasse in den Mund. »Echt eine Zumutung, was man hier an uns
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