Und keiner wird dich kennen
sich hier und da eine Bemerkung durch. Schließlich blickt sie auf und sieht richtig gerührt aus. »Oh, Alissa, du bist wirklich ein Schatz! Das ist total praktisch, jetzt kann ich das Ganze überarbeiten und fühle mich nicht mehr so mies dabei. Wenn es dir wirklich gefallen hat, kann es ja nicht ganz schlecht sein, oder?«
»Besonders gut fand ich das Happy End«, sagt Maja mit einem schiefen Grinsen.
»Ich auch«, erwidert Lila und seufzt tief. Ihre Augen schimmern feucht. Maja kann sich denken, was ihr durch den Kopf geht – wird ihre wirkliche Geschichte auch ein glückliches Ende nehmen?
Zum ersten Mal wird ihr klar, wie einsam ihre Mutter zurzeit ist. Im Gegensatz zu Maja und Elias hat sie hier noch niemanden kennengelernt, Kollegen hat sie keine mehr und die meiste Zeit sitzt sie allein zu Hause. Wahrscheinlich vermisst sie ihre Freundinnen und Freunde fast so sehr wie sie selbst Lorenzo.
Lila und sie umarmen sich, und Maja wünscht sich mit aller Kraft, dass Ring aus Dornen ein Erfolg wird. Es wäre schon irgendwie cool, eine Schriftstellerin als Mutter zu haben.
Lilas Prepaid klingelt und sie nimmt das Gespräch an. Sie sagt nur wenige Worte, ihr Gesicht wirkt verkniffen.
»Was?«, fragt Maja. Lila wirft einen Blick auf die beiden Jungs, die auf dem Teppich gerade ein Laserschwert-Duell ausfechten, und scheint nicht wirklich erzählen zu wollen, was los ist. Doch Maja lässt nicht locker. Sie hat ein Recht darauf, zu erfahren, was hier abgeht! Also gehen sie kurz ins Arbeitszimmer – außer Hörweite der Jungen –, und Lila erklärt: »Das war Andreas. Er meint, die Polizei versuche, Robert im Auge zu behalten, aber er scheint schon seit Tagen nicht mehr in Marburg zu sein.«
Majas Herz krampft sich vor Angst zusammen. Trotzdem versucht sie zu lächeln. »Lass mich raten: Wahrscheinlich hängt er in Offenbach herum und hofft, uns dort zu finden.«
»Andreas hat gesagt, dass die Kollegen in Offenbach ebenfalls Ausschau nach ihm halten«, sagt Lila und berührt, vielleicht ohne es zu merken, die überschminkten Narben in ihrem Gesicht. »Und er muss sich bald bei seinem Bewährungshelfer oder so was melden, sonst bekommt er Ärger.«
Ja, denkt Maja hasserfüllt. Hoffentlich bekommt er den – es gibt gar nicht genug Ärger in der Welt für Robert Barsch!
Auf dem Drahtseil
Robert ist wütend auf sich selbst. Warum nur hat er in diesem Haus in Offenbach das Gas aufgedreht, was genau hat er sich dabei gedacht? Ist die Frau tot? Kann ihm die Polizei durch diese dämliche Aktion irgendwie auf die Spur kommen? Das hätte gerade noch gefehlt.
Unruhig blättert er in den Zeitungen, die er sich gekauft hat. Ja! Da ist es! Eine Gasexplosion in einem Einfamilienhaus, das muss es sein. Keine Toten, nur eine Verletzte, uff, das ist ja gerade noch mal gut gegangen. Experten vermuten einen Defekt am Herd.
Erleichtert wirft sich Robert Barsch auf sein Hotelbett. Diese guten Nachrichten gleichen aus, dass es bei seiner Suche immer noch keine neue Spur gibt. Er vermisst Lila und so langsam geht ihm diese Stadt auf die Nerven. Ihm fehlen sein Fitnessstudio, seine Klassik-CDs und seine extragroße Badewanne. Den letzten Abend hat er fast komplett in der Dusche seines Hotelzimmers verbracht und versucht, sich die düstere, klebrige Traurigkeit, die ihn manchmal packt, von seiner Seele zu spülen. Zum Glück hat er es schließlich geschafft, sie mit Gedanken an Lila zu vertreiben. Seine geliebte Lila. Er und Lila, zusammen in einem tiefen, einsamen Wald, gemeinsam sitzen sie am Lagerfeuer, über ihnen der unendliche Sternenhimmel. Grillen zirpen und Funken schweben in den dunklen Himmel. Lila ist gefesselt und geknebelt. In ihren vor Angst aufgerissenen Augen spiegeln sich die Flammen ... Stopp , denkt Robert und beißt die Zähne zusammen. Stopp, verdammt noch mal! Sie würde mich hassen, wenn ich das wirklich mit ihr tun würde! Oder würde sie einsehen, dass ich sie bestrafen muss, weil sie mich verlassen hat?
Sein eigenes Brandzeichen ist an der Hand noch immer deutlich zu ertasten. Vier Jahre war er alt, ein neugieriges Kind. Und ja, die Wunde war ihm eine Lehre, mit Feuer vorsichtig umzugehen, diese Erziehungsmaßnahme seines Vaters war ein voller Erfolg.
Mit großer Mühe schiebt Robert Erinnerungen und Fantasien weg und denkt stattdessen an die nähere Zukunft. Er muss nach Marburg, wenn auch nur für einen Tag. Seit seiner Entlassung aus dem Knast steht er unter »Führungsaufsicht«, wie der Mist
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