Und keiner wird dich kennen
Hassfach Französisch, er und Frau Piermont können sich einfach nicht ausstehen. Er wird unter Garantie Ärger bekommen, wenn er nicht pünktlich aus der Pause zurück ist.
Jetzt sind sie allein in der weitläufigen Pausenhalle und gehen mit auf den Boden geheftetem Blick umher. Maja wird immer nervöser. »Wir finden das Ding jetzt sowieso nicht, wir müssen zurück.«
»Wenn du Glück hast, gibt irgendein ehrlicher Finder es beim Hausmeister ab«, meint Ben und richtet sich auf. Er stutzt. »Ach du Schreck, da ist unser Rektor, das muss ja nicht sein, dass der uns sieht.«
Bevor Maja weiß, wie ihr geschieht, hat Ben schon ihre Hand genommen und sie vorangezogen, gemeinsam rennen sie die Treppen hoch zu ihrem Klassenzimmer. Bens Hand fühlt sich warm und fest an, und Maja ertappt sich dabei, dass sie sie gar nicht loslassen möchte. Sie mag ihn ja wirklich ... aber es fühlt sich anders an als bei Lorenzo, eher warm und freundschaftlich. Vielleicht könnte mehr daraus werden? Will sie das?
Vor dem Klassenzimmer halten sie an und einen Moment lang stützt sich Maja schwer atmend an die Wand und lächelt Ben zu, es war wirklich total nett von ihm, ihr suchen zu helfen. Erst mal kurz durchschnaufen, dann rein. Die Flure sind verlassen und schwach kann Maja die Stimme ihrer Französischlehrerin durch die nicht allzu dicken Wände hören.
Ben macht keine Anstalten, die Tür zu öffnen. Stattdessen erwidert er ihr Lächeln und stützt sich so gegen die Wand ab, dass seine Arme sie rechts und links einschließen – Entkommen unmöglich. »Habe ich dir eigentlich schon gesagt ...«, beginnt er. Maja weiß nicht genau, ob sie den Rest des Satzes hören möchte. Neugierig ist sie schon, aber es gefällt ihr nicht, sich so gefangen zu fühlen. »Sag es mir lieber ein andermal«, versucht sie auszuweichen. »Wir kommen zu spät, wir ...«
»... wie froh ich bin, dass du ausgerechnet an diese Schule gekommen bist?«
Er wartet nicht auf eine Antwort. Stattdessen nähert sich sein Gesicht dem ihren und plötzlich berühren seine Lippen ganz zart ihren Mund. Maja ist so erschrocken über diesen Kuss, dass sie erst gar nicht reagiert. Dann will sie ausweichen, aber das geht nicht, Bens Arme sind zu Käfigstangen geworden. »Lass mich los!«, faucht Maja ihn an. Es ist zu viel, zu schnell, sie will nur noch weg. Und endlich merkt es auch Ben, mit rotem Kopf gibt er sie frei. Wo ist seine Einfühlsamkeit geblieben, er hat doch auch gemerkt, dass sie eine schwere Zeit hinter sich hat! Wie konnte er dann auf die Idee kommen, sie derart mit einem Kuss zu überrumpeln?
Maja reißt die Tür des Klassenzimmers auf, geht rasch zu ihrem Platz, setzt sich und lässt die Ermahnungen von Frau Piermont über sich hinwegspülen.
Den Rest der Stunde, den Rest des Tages blicken sie und Ben sich nicht mehr an. Und ihre Halskette findet Maja auch nicht wieder.
Als Maja heimkommt, ist Elias gerade bei einem Freund, und ihre Mutter hat es sich mit einem Kaffee auf dem Sofa bequem gemacht. »Ich habe vielleicht ein neues Jugendforscht -Projekt«, verkündet Maja fröhlich. »Eine Untersuchung der verschiedenen ...«
»Alissa«, sagt ihre Mutter in einem ganz seltsamen Ton, und Maja stutzt. »Was?«
» Jugend forscht geht jetzt nicht mehr.«
»Wieso denn das?« Maja ahnt schon, was kommt, aber sie will es nicht glauben.
»Wenn du gewinnst, was ich dir ja sehr wünschen würde, dann kommt möglicherweise dein Bild in die Zeitung.«
»Aber wenn ich die Journalisten bitte, dass sie mich nicht fotografieren?« Verzweifelt denkt Maja nach. »Oder wenn ich das Projekt mit jemandem zusammen mache, der dann meinetwegen den ganzen Ruhm einheimsen kann ...«
»Nein, Maja. Es geht einfach nicht. Keine Wettbewerbe.«
Niedergeschlagen setzt sich Maja und starrt auf den hässlichen hölzernen Couchtisch. Kein Facebook. Keine Wettbewerbe. Keine Schnappschüsse auf Partys. Wird sie nie wieder tun können, was sie möchte? Einfach so?
Ihre Mutter hat Neuigkeiten. »Ich bin mit der Überarbeitung durch«, verkündet sie, vielleicht auch, um Maja abzulenken.
»Aha. Schön.« Apathisch blättert Maja durch den frischen, ordentlichen Ausdruck, den ihre Mutter auf den Tisch gelegt hat. Ein Ring aus Dornen, etwas gruseliger Titel. Vor ihrem inneren Auge sieht Maja das fertige Buch im Regal einer Buchhandlung stehen, frisch und neu und glänzend . »Schickst du das Manuskript jetzt ein?«
»Ja, aber ich weiß gar nicht richtig, wie so was geht.«
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