Und keiner wird dich kennen
hier, er interessiert sich für dich.«
Aufregung durchfährt Lorenzo. »Ein Talentscout?«
»Ich habe ihm gesagt, er soll abhauen, wir wollen dich nicht verlieren.«
Wahrscheinlich ist sein Gesichtsausdruck sehenswert, denn Martens lacht so heftig, dass Lorenzo einen guten Blick auf seine überkronten und ziemlich unecht aussehenden Zähne bekommt. »Nein, hab ich natürlich nicht. Ich war sehr freundlich zu ihm und wir haben uns lange über dich unterhalten.«
»Von welcher Mannschaft war er? Welche Liga?« Lorenzo hat tausend Fragen.
»Ich weiß nicht, von welcher Mannschaft«, gibt Martens zu. »Das sei vertraulich, hat er gesagt.«
Vertraulich? Wie seltsam. »Aber woher kennt er mich denn?«, wundert sich Lorenzo. »Hat er schon mal beim Training zugeschaut? Hab ich gar nicht mitbekommen.«
Martens zögert. »Hm ... jetzt, wo du es sagst ... nein, eigentlich war niemand da. Der Scout hat gesagt, er ruft vorher an, wenn er mal zum Training kommt. Vermutlich hat er eins unserer Punktspiele gesehen.«
Komisch. Na ja, jetzt muss er eben warten, bis der Typ sich wieder meldet, wahrscheinlich erfährt er dann Näheres. Jedenfalls ein toller Erfolg, dass sich überhaupt ein Scout für ihn interessiert, hoffentlich werden die anderen in der Mannschaft nicht neidisch.
An diesem Abend, als er längst wieder daheim ist, klingelt es an der Tür. Lorenzo ignoriert es, er wartet auf niemanden und ist gerade damit beschäftigt, an seinem Blog zu basteln. Alle möglichen Freunde von Maja haben Botschaften für sie dort hinterlassen, auch wenn es keine Antworten gibt, vielleicht nie geben wird. Niemand hat eine Ahnung, was mit ihr geschehen ist, sie hat mit keinem Kontakt aufgenommen.
Jemand klopft an seiner Zimmertür. Lorenzo, aus seiner Konzentration gerissen, zuckt zusammen. Es ist Natascha, die den Kopf in sein Zimmer steckt und »Hi« sagt. Natascha – was macht die denn hier? Sie lächelt fast schüchtern.
Lorenzo sagt ebenfalls »Hi«. O Mann. Natascha in seinem Zimmer. Er will sie hier nicht haben, das ist sein Revier. »Moment«, sagt er und geht ins Bad, in dem seine Mutter gerade eine Ladung Wäsche in die Trommel stopft. »Sag mal, wieso hast du sie reingelassen, ohne mich zu fragen?«, zischt er ihr zu.
»Wenn du willst, dass hier keine Mädchen reinkommen, dann musst du selber zur Tür gehen.« Seine Mutter dreht sich nicht mal um. »Außerdem wirkt sie sehr nett.«
Lorenzo verdreht genervt die Augen und geht zurück in sein Zimmer. Natascha sitzt auf seinem Schreibtischstuhl und macht irgendetwas, sie klickt sich durch die letzten Einträge des Treibgut -Blogs, wie sich herausstellt. Ihm wäre es lieber, sie ließe die Finger von seinem Computer.
»Was willst du?«, fragt er kurz. Er erinnert sich nicht besonders gern an das Shooting mit ihr im Loft. Vielleicht, weil er sich mehr Selbstbeherrschung zugetraut hätte.
»Nichts Wichtiges«, sagt Natascha. »Nur mich bedanken. Für die tollen Fotos.«
»Okay – gern geschehen«, meint Lorenzo und bleibt stehen. Während sie da ist, kann er einfach nicht entspannen. Mit Maja war das einfacher, sie waren sofort auf einer Wellenlänge und blödelten herum. Natascha dagegen hat seines Wissens keinen Funken Humor.
»Was liest du gerade?«, fragt Natascha und nimmt das oberste Buch von seinem Nachttisch. »Oh, hey, T. C. Boyle. Den mag ich auch ganz gerne. Am besten fand ich Talk Talk .«
Das überrascht ihn etwas. Eigentlich hatte er ihr höchstens die Lektüre von Frauenzeitschriften zugetraut. »Ich fand Drop City besser«, sagt er und setzt sich jetzt doch noch – auf sein Bett, das peinlicherweise noch immer ungemacht ist. Lohnt sich jetzt auch nicht mehr, es ist sowieso schon Abend.
»Sag mal, bleibt dein Gast zum Abendessen?«, ruft seine Mutter, und Natascha lächelt. »Gerne«, flötet sie, noch bevor Lorenzo den Mund geöffnet hat, um etwas ganz anderes zu sagen.
Eine halbe Stunde später sitzt sie mit seiner Familie am Esstisch und bezaubert alle. Plaudert mit seiner Mutter darüber, wie gut Lorenzo fotografiert, und mit seinem Vater über Lkws – woher zum Teufel kennt sie sich mit Lkws aus? – und verrät, dass sie später mal den Führerschein für Siebeneinhalbtonner machen möchte. Sein Vater ist hin und weg und verspricht ihr ein Praktikum in seiner Spedition. O Mann.
Aber Lorenzo hat auch Spaß. Es gibt nämlich gebratene Leber mit Zwiebeln, und er weiß, dass Natascha Vegetarierin ist. Wahrscheinlich steht sie Todesqualen
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