Und keiner wird dich kennen
aus, aber sie lässt sich nichts anmerken und schiebt sich ein Stück nach dem anderen in den Mund, spült das Ganze mit viel Wasser herunter und lächelt dabei eisern weiter. Schadenfroh beobachtet es Lorenzo. Immerhin, tapfer ist sie, das muss er ihr zugestehen. Oder? Vielleicht war das eben eher Feigheit. Vegetarier ist man doch aus Überzeugung. Mutig wäre gewesen, zu Beginn des Essens zu sagen, dass man kein Fleisch isst, und die peinliche Situation dann einfach durchzustehen.
Nach dem Essen schafft er es, sie loszuwerden, indem er vorgibt, lernen zu müssen. Darin unterstützen seine Eltern ihn mit allem Nachdruck, da er in der Schule sonst eher durch Desinteresse glänzt. Einen »faulen Hund« hat ihn ein Lehrer mal genannt und das trifft es wohl ganz gut.
An der Tür schenkt Natascha ihm noch ein nettes Lächeln.
»Stimmt das eigentlich – das mit dem Lkw-Führerschein, den du noch machen willst?«
»Klar«, sagt Natascha. »Mein Vater war früher Brummi-Fahrer, bevor er mit seinen Skulpturen Erfolg hatte. Der hat mich schon ans Steuer gelassen, als ich zehn war.«
Lorenzo muss lachen. Das ist ja eine lustige Karriere.
»Hast du inzwischen mit Liliana gesprochen?«, fragt er, und Natascha nickt. »Du darfst gespannt sein. Sie hat etwas Besonderes vor.«
Das klingt gut, und Lorenzo schafft sogar, zum Abschied zurückzulächeln.
Es ist Zufall, dass er an diesem Abend auf seinem Laptop einen neuen Virenscanner installiert. Sofort öffnet sich ein grellrotes Fenster mit einer Warnung. Keylogger gefunden . Ach du Scheiße, seit wann ist der bei ihm drauf? Diese Dinger protokollieren, was er eintippt, und leiten es an irgendwelche Hacker weiter.
Fluchend wirft Lorenzo das Spionprogramm von seiner Festplatte und macht sich daran, sämtliche Passwörter seiner Accounts zu ändern.
Als Maja nach Hause kommt, ist daheim irgendetwas ungewohnt. Schnell stellt sie fest, woran das liegt – aus dem Wohnzimmer dringen zwei Jungenstimmen. Verblüfft sieht Maja Elias und einen fremden Jungen quatschend auf dem Teppich herumkriechen. Es sieht aus, als wäre um sie herum ein Schreibwarenladen explodiert, anscheinend basteln sie etwas. Die beiden schenken Maja in etwa so viel Beachtung wie einem hereingewehten Herbstblatt.
Am Esstisch sitzt Lila, trinkt einen Espresso und liest Zeitung. »Schön, nicht?«, meint sie und deutet mit dem Kinn auf die beiden. Maja nickt lächelnd. Sieht aus, als habe Elias endlich einen Freund gefunden, wie toll! Vielleicht war die neue Schule genau die Chance, die er gebraucht hat.
Doch jetzt, da er Freunde hat, ist die Gefahr noch größer geworden, dass er sich verplappert. Bisher hat Elias es kaum länger als einen Tag geschafft, irgendein Geheimnis zu bewahren. Was ist, wenn er irgendjemandem verrät, wie er wirklich heißt? Oder wenn er sich wichtigmachen will mit der dramatischen Geschichte ihrer Flucht?
Die Stimme ihrer Mutter reißt sie aus ihren Gedanken. »Sag mal, was hast du eigentlich mit meinem Manuskript angestellt?«
Soso, anscheinend hat sie ihr Werk doch nicht ganz aufgegeben! »Wieso interessiert dich das?«, gibt Maja spitz zurück. »Fehlt dir noch Anzünder für ein Lagerfeuer im Garten?«
Lila verzieht das Gesicht. »Aaaach, das habe ich nicht so gemeint. Ich war einfach schlecht drauf an dem Abend. Falls es dich interessiert: Ich habe die Datei nicht gelöscht.«
»Das wäre auch superdämlich gewesen.« Maja geht in Elias’ und ihr Zimmer, um das Manuskript aus der Lücke zwischen Bett und Wand zu ziehen. An die Seitenränder hat sie mit grünem Stift ihre Bemerkungen gekritzelt, hoffentlich ist Lila nicht sauer deswegen. Vorsichtig legt sie den Packen Papier vor Lila hin. »Ich bin fast durch. Interessiert dich, was ich darüber denke?«
»O Gott!« Lila stützt den Kopf in die Hände. »Darf ich mir vorher einen Drink holen?«
Irgendwie lustig, ihre eigene Mutter hat Angst vor der Meinung ihrer Tochter. Aber vielleicht ist das immer so, wenn man irgendwas erfunden, geschrieben, gemalt hat. Steckt eben Herzblut drin. »Brauchst du gar nicht«, sagt Maja fröhlich. »Ich fand’s eine gute Story. Sehr berührend. Tolle Figuren – du hast nicht einfach dich selbst und Robert verwendet. In der Mitte ist es noch ein bisschen langatmig, aber vielleicht kannst du da etwas kürzen. Ein bisschen mehr Beschreibungen wären auch gut, damit die Atmosphäre intensiver wird. Alles andere steht am Rand.«
Staunend blättert ihre Mutter die Seiten durch, liest
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