Und manche liebe Schatten steigen auf
unbehelligt. Wiederholt wurde ich zum Solospiel in den von ihm dirigierten Konzerten eingeladen oder zu kleineren Aufführungen neuer Werke in seinem Hause. In solchen Fällen wohnte ich öfters bei ihm, und dann gab er mir immer vor dem Schlafengehen irgendeine Partitur eines neuen Werkes als Lektüre mit. Eines Abends, nachdem wir musiziert, sehr gut gespeist und noch besser getrunken hatten (denn schlechte Weine konnte Schumann ebenso wenig leiden wie schlechte Musik), wurde er so aufgeräumt, dass er ein Tänzchen vorschlug, an dem er sich dann lebhaft beteiligte, während Clara Schumann und ich abwechselnd zum Tanze aufspielten. Am nächsten Morgen beim Frühstück erzählte er mir mit äußerst schelmischer Miene, dass seine Clara die Kinderchen, welche an einem kleinen Tischchen für sich saßen und ihre Morgenmilch genossen, mit großem Erfolge in der Theorie der Musik unterrichtete. Und dann begann er ein ernstes Examen mit den Kleinen, wollte aber vor Heiterkeit vergehen, als es mit ihrer Weisheit bald zu Ende war, und die mütterliche Lehrerin sich ernsthaft darüber ärgerte. Noch ein anderes Mal sah ich ihn ebenso herzlich vergnügt, weil er auf einer kleinen Flausenmacherei ertappt war. Das trug sich so zu: Als ich einst gegen Abend in sein Zimmer trat, fragte er mich sofort nach der ersten Begrüßung, ob ich ein gutes Glas Bayrisch mit ihm trinken wolle, und als ich dies begreiflicherweise nicht ablehnte, ergriff er seinen Hut, um mit mir fortzugehen. In demselben Augenblick trat mit tiefem Bückling ein Verleger aus Elberfeld bei ihm ein. Schumann fertigte ihn mit der Bitte, ein anderes Mal wiederzukommen, schnell ab, da er einen wichtigen Gang mit mir zu machen habe, den er durchaus nicht aufschieben könne. So kamen wir denn ohne erhebliche Verspätung in das kleine Bierlokal. Kaum aber saßen wir dort einige Minuten beim Biere, als auch der Elberfelder Herr hereintrat und fast über uns gestolpert wäre! Er war jedoch so klug, sich an Kaspars Worte in der Wolfsschlucht: „So etwas sieht ein Gescheiter nicht!“ zu erinnern und sehr bald wieder zu verschwinden. Schumann aber war sehr belustigt darüber, dass wir so auf dem „wichtigen, unaufschiebbaren Gange“ ertappt worden waren. Einen durchaus ungetrübten Eindruck habe ich auch von der ersten privaten Aufführung von „Der Rose Pilgerfahrt“ im Schumannschen Hause bewahrt. Es war in Köln, im Juli 1851, als am frühen Morgen Robert Schumann und Ferdinand Hiller in mein Zimmer traten. Schumann trug ein zierlich gebundenes Buch unter dem Arme; es war das Manuskript der eben genannten Tondichtung, welche der Meister am kommenden Sonntag in seiner Wohnung zu Düsseldorf zur Aufführung bringen wollte. Für alle die recht zahlreichen Solopartien hatte er in Düsseldorf die geeigneten Kräfte gefunden, nur nicht für die Tenorpartie, für die er nun in Köln einen Vertreter suchte. Hiller empfahl ihm einen äußerst musikalischen und mit einer echt lyrischen Tenorstimme begabten Dilettanten A.P. Da er aber selber verhindert war, seinen Freund zu dem Herrn P. zu geleiten, so kamen beide zu mir, damit ich Schumann hinführen sollte. Ohne Umstände übernahm der liebenswürdige Dilettant die Aufgabe, ich setzte mich ans Klavier und studierte ihm die Partie ein, während Schumann das Blatt umwendete und von Zeit zu Zeit eine kurze Bemerkung machte. Als nach beendeter Probe Herr P. und ich Schumann auf den Bahnhof begleiteten, hielt ich es für meine Pflicht, den ersteren noch auf einige Einzelheiten, mit denen Schumann nicht zufrieden gewesen war, aufmerksam zu machen, indem ich ihm die betreffenden Stellen vorsang. Als Herr P. seine Verwunderung darüber ausdrückte, dass ich die Sachen schon auswendig wisse, sagte Schumann mit dem ihm eigenen freundlichen Lächeln: „O, der weiß meine Sachen schon auswendig, ehe ich sie komponiert habe.“ Die Aufführung fand denn auch in geplanter Weise statt. Clara Schumann saß am Klavier, Robert Schumann dirigierte die Chöre, und das liebenswürdige, anmutige Werk brachte allgemeines Entzücken hervor. Als die Aufführung beendet war, und Schumann gewahrte, welch großen Eindruck das Werk gemacht hatte, kam er zu mir und forderte mich auf, das Werk zu instrumentieren. Nun war aber die Begleitung so überaus klaviermäßig gedacht, dass ich glaubte, man würde eine wirksame und praktische Orchestration nur herstellen können, wenn man an vielen Stellen sich gänzlich von dem Original emanzipierte, und ich
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