Und manche liebe Schatten steigen auf
ein heftiger Gegner jener Opern-Schreibweise ist – milder über jene Komponisten urteilen und eingestehen müssen, dass ihre Werke eine tiefgehende Wirkung hervorzubringen vermögen, wenn sie so vollendet gesungen werden, wie dies bei den damaligen großen Vertretern und Vertreterinnen des bel canto der Fall war. Nachdem ich diesen ersten unvergesslichen Eindruck von den Leistungen Jenny Linds gehabt hatte, fiel es mir gar nicht mehr ein, sie um ihre Mitwirkung zu bitten; denn ich fühlte mich jetzt diesem Sterne gegenüber zu sehr als kleines Talglicht. Infolge dieser Resignation fand ich zu jener Zeit auch nicht Gelegenheit, die persönliche Bekanntschaft der unvergleichlichen Künstlerin zu machen. Ebenso wenig wurde mir dies Glück zuteil, als sie einige Jahre darauf nach Leipzig kam. Es war am 4. Dezember 1845, als sie infolge einer Einladung Felix Mendelssohn-Bartholdys in einem Gewandhaus-Konzerte sang. Schwer zu beschreiben ist es, welchen Eindruck sie damals hervorbrachte, und welchen Enthusiasmus sie entfesselte mit dem Vortrag der Arien „ Casta diva “ aus Bellinis Norma, „Ich grausam? o mein Geliebter!“ aus Mozarts Don Juan und einiger Lieder („Auf Flügeln des Gesanges“ und „Leise zieht durch mein Gemüt“) von Mendelssohn. Ebenso schwer zu beschreiben ist, mit wie verklärtem Antlitz und wie leuchtenden Blicken Mendelssohn, der am Flügel saß, seinen eigenen Tönen lauschte, wie sie der Kehle dieser gottbegnadeten Künstlerin entquollen. Ich glaube, dass es geradezu unmöglich ist, mit vollendeterer Virtuosität, mit echterem Empfinden und erschöpfenderem poetischen Ausdrucke zu singen, als die „schwedische Nachtigall“ es tat. Die Mendelssohnschen Lieder sind heutzutage ebenfalls von Sängern und Sängerinnen einigermaßen ad acta gelegt worden. Aber, wenn sie dieselben so im Geiste des Komponisten vorzutragen wüssten wie dereinst Jenny Lind, so würden sie auch heute noch die gleiche Wirkung damit erzielen, wie jene in diesem denkwürdigen Konzerte. Wenn die Künstlerin in Mendelssohns nicht mehr als 14 Takte umfassendem Liede“Gruß“ von Heine die Worte sang „kling hinaus ins Weite – sag', ich lass' sie grüßen“, so war es einem, als dehnten sich die Wände des Saales auseinander, und man sähe in den blauen Frühlingsäther hinein. Selbstverständlich gab sich das Publikum mit diesen auf dem Programm verheißenen Liederspenden nicht zufrieden. So nahm dann die Künstlerin später selbst am Flügel Platz und begleitete sich einige schwedische Volkslieder, die sie mit einer Naturfrische und einem Humor vorzutragen wusste, welche alle Welt in Staunen setzte. Der kolossale Erfolg dieses Abends veranlasste Mendelssohn, gleich am nächsten Tage ein Extrakonzert zum Besten des Fonds für die Witwen der Orchestermitglieder zu veranstalten und die Gefeierte um ihre Mitwirkung zu bitten, während er selbst, den man seit achtzehn Monaten nicht mehr in Leipzig gehört hatte, als Solist mit ihr alternieren und unter anderem sein G-moll Konzert spielen wollte. Somit fiel dem damals noch jungen dänischen Komponisten Niels W. Gade, welcher zu jener Zeit die Gewandhaus-Konzerte mit Mendelssohn abwechselnd dirigierte, die Leitung des Orchesters zu. Ich wohnte schon der Probe bei. Jenny Lind sang in den Proben stets mit voller Stimme, wie sie auch mit dem Glockenschlage zu jeder Probe erschien. Die erste Nummer in der Probe war das erste Finale aus Webers Euryanthe. Der wohlgeschulte Chor hatte bis dahin nicht den geringsten Anlass zu irgendeiner Wiederholung gegeben, nachdem aber Jenny Lind die Worte „Wonnen und Wehen durchwogen die Brust“ mit einem geradezu undefinierbaren Zauber gesungen hatte, setzte nicht einer vom Chor ein, sie alle standen mit geöffneten Lippen da, unfähig, sich nach diesem überwältigenden Eindrucke gleich zu fassen. Jenny Lind lachte, Gade lachte, man begann noch einmal bei geeigneter Stelle, und nun ging alles glatt vonstatten. Am Abend sang sie außer dem erwähnten Finale aus Euryanthe Szene und Arie aus „Figaros Hochzeit“ „ Dove sono “, die Freischütz-Arie „Wie nahte mir der Schlummer“ und Lieder am Klavier, darunter wieder nach schier endlosem Jubel einige schwedische Volkslieder, welche damals, als man noch nicht so wie heute mit nordischer Musik überschüttet wurde, durchaus neu und überraschend wirkten. Ein Berichterstatter jener Zeit schrieb: „es riss darin wieder das Abnehmen der Stimme bis zum leisesten Hauche und eine
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