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Und manche liebe Schatten steigen auf

Und manche liebe Schatten steigen auf

Titel: Und manche liebe Schatten steigen auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Reinecke
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kunstvoll verschlungene Verzierung während dieses pianissimo alles hin. Der Beifall des entzückten Publikums wollte nicht enden. Die Mitglieder des Orchesters aber beeilten sich, der uneigennützigen Künstlerin ein Zeichen ihres Dankes zu geben und vereinigten sich nach Beendigung des Konzertes zu einer Instrumental-Serenade, die sie ihr vor ihrer Wohnung darbrachten.“ Auch einige Männergesangvereine hatten sich dieser Huldigung angeschlossen. In dem weiten, durch Fackeln erhellten Kreise der Versammelten erschien dann Jenny Lind an der Seite Mendelssohns und dankte jedem mit Hand und Wort. Ein donnerndes Hoch auf die Gefeierte erscholl, und sie zog sich wieder zurück. So groß war der Zauber, den die Künstlerin überall ausübte. An vielen Orten, namentlich in Berlin, gab er sich noch viel lärmender kund. Und dabei war Jenny Linds Stimme weder ungewöhnlich groß, noch von außergewöhnlicher Schönheit. Wenn sie begann, klang ihre Stimme meistens etwas verschleiert, und man las dann auf dem Gesichte manches Zuhörers die Frage: „Ist das wirklich Jenny Lind?“ Aber prinzipiell räusperte sie sich niemals (weil sie der Überzeugung war, dass dies der Stimme schade), sondern zog es vor, die Stimme nach und nach frei zu singen und verzichtete lieber auf den ersten großen Eindruck. Wenn dann aber die Stimme frei und durchdrungen von den tiefsten seelischen Regungen erklang, war ihr Triumph gesichert, und über solch tiefstes Durchdringen ihrer Aufgabe vergaß man ganz und gar die unvergleichliche Virtuosin, von welcher ich einst u. a. die chromatische Skala vom dreigestrichenen des bis herab zum eingestrichenen des und dann wieder zurück, auf dem Schlusstone mit einem Triller endigend, hörte! Jenny Lind dachte ebenso scharf, wie sie tief empfand. Demgemäß sang sie z.B. die Anfangsworte des Rezitativs „Wie nahte mir der Schlummer, bevor ich ihn gesehn!“ anknüpfend an die ihr unbegreiflich erscheinende Aufforderung Aennchens: „Aber dann lass uns auch zu Bette gehn“, im Tone des Vorwurfs über eine solche Zumutung, während man gewöhnt war – und wohl noch gewöhnt ist – dieselbe mild und freundlich gesungen zu hören. Dies eine Beispiel nur für viele. Lieder aber sang sie, wie das Wesen des Liedes es erfordert, wenn auch mit erschöpfendem Ausdruck, so doch ohne deklamatorischen Aufwand und dem häufig damit verbundenen Aufbauschen des Liedes zu einer dramatischen Szene.
    Erst während meines späteren Aufenthaltes in Bremen hatte ich das Glück, die persönliche Bekanntschaft Jenny Linds zu machen. Sie war befreundet mit einer liebenswürdigen Familie daselbst, bei der ich freundschaftlich verkehren durfte, und deren eine Tochter (die spätere Gattin von Klaus Groth) meine Schülerin war. Gelegentlich eines Besuches, den Jenny Lind dieser Familie in Bremen machte, wurde ihr zu Ehren in diesem Hause eine Gesellschaft gegeben, zu der auch ich eine Einladung erhalten hatte. Zum Spielen aufgefordert, setzte ich mich an den Flügel und gab mein Bestes; als Jenny Lind mich dann aufforderte, ihr einige Lieder zu begleiten, fühlte ich mich sehr reich belohnt. Als sie geendet hatte, und ein Herr ihr einige phrasenhafte Komplimente machte, gewahrte ich mit Erstaunen, aber mit einiger Befriedigung, wie sie ihm stumm den Rücken kehrte und sich zu einem Gespräch an mich wandte. Als ich sie nun im Laufe des Gespräches bat, mit ihrer Kunst doch mehr für die Verbreitung Schumann scher Lieder einzustehen als sie bisher getan hatte, sah sie mich groß an, wahrscheinlich um meiner Freimütigkeit willen, und sagte dann: „Sie haben ganz Recht“, fügte auch sofort wie entschuldigend hinzu, dass sie bis jetzt nur auf der Bühne gewirkt habe und erst seit kürzerer Zeit mit der ihr seither fast fremd gebliebenen Liederliteratur bekannt geworden sei. Dieser Charakterzug an ihr, Schmeicheleien unfreundlich aufzunehmen und Offenheit gern gelten zu lassen, gefiel mir ausnehmend, und deshalb scheute ich mich nicht, ihr als Tischnachbar beim Souper zu sagen: „Ich habe schon bemerkt, mein Fräulein, dass sie sich nicht gern zu viel Schönes sagen lassen, viel lieber etwas Derbes, wenn's nur ehrlich gemeint ist.“ „Sie haben ganz Recht“, war abermals ihre Antwort, und von da an waren wir, so zu sagen, gute Freunde. Sie musste oft in Bremen singen, und ich hatte die Freude zu erfahren, dass ihr an meiner Begleitung etwas gelegen zu sein schien, denn ich fehlte in keinem ihrer Konzerte am Klavier. Auch nach

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