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Und meine Seele ließ ich zurueck

Und meine Seele ließ ich zurueck

Titel: Und meine Seele ließ ich zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérôme Ferrari
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Moreau? Die Journalisten kommen gleich und Ihnen fällt nichts Besseres ein als das? Ziehen Sie mir dieses Mädchen wieder an und lassen Sie es in Frieden.
    – Dass wir sie wieder anziehen, mon Capitaine, muss das wirklich sein?, fragt Febvay. Das wäre für die Kameltreiber hier echt beschissen, fährt er fort und zeigt dabei auf die Harkis, die würde denen hinsichtlich der Ziegen, die sie bumsen, etwas Abwechslung bringen.
    Die Harkis beginnen zu lachen. Capitaine Degorce macht auf den Sergeant zwei Schritte zu und hebt seine Hand, um ihn zu ohrfeigen, unterbricht die Geste aber und sein Arm fällt schlaff zurück an seinen Körper. Er weiß, dass er die Hand nicht hätte erheben dürfen, und er weiß auch, dass er die Hand, einmal erhoben, nicht wieder hätte fallen lassen dürfen. Er spricht mit nicht wiederzuerkennender Stimme.
    – Ich werde dich vors Kriegsgericht bringen, du Dreckskerl. Vors Kriegsgericht, hast du gehört. Ich werde dich erschießen lassen.
    Der Adjudant-Chef nähert sich und nimmt den Capitaine sanft am Arm.
    – Mon Capitaine, mit Verlaub: was erzählen Sie denn da?
    Der Capitaine verharrt für einen Moment bewegungslos. Er kann den Blick des Sergeant nur schlecht erwidern. Er geht mit einer Eile, die er verachtet, Richtung Tür.
    – Ziehen Sie dieses Mädchen wieder an, Moreau, sagt er mit zitternder Stimme. Und finden Sie für den Sergeant eine Verwendung, wo sein Sinn für Humor angemessen geschätzt wird. Egal wo, es ist mir völlig gleich. Nur möge er mir nicht mehr unter die Augen kommen.
    Als er auf dem Flur ist, macht er plötzlich kehrt und geht erneut in den Raum. Niemand hat sich bewegt. Er geht direkt auf Febvay zu und versetzt ihm einen Knietritt in den Schritt. Der Sergeant sackt beinahe geräuschlos in sich zusammen und Capitaine Degorce schlägt ihm mit aller Kraft die Faust gegen die Schläfe. Der Sergeant kippt, die Knie gegen die Brust gezogen, zu Boden, ohne auch nur die kleinste Abwehrgeste anzudeuten. Capitaine Degorce massiert seine schmerzende Hand. Er schaut auf den jungen Mann, der zu seinen Füßen stöhnt. Da ist zunächst ein rasendes Glücksgefühl der Erleichterung. Und dann sofort darauf Mitleid, Gewissensbisse – eine unsägliche Ohnmacht.
    *
    Die Journalisten sind gekommen und wieder gegangen. In Handschellen gelegt, hat Tahar ins Gewitter der Blitze gelächelt. Der Colonel gratulierte sich zu der außergewöhnlichen Bedeutung dieser Gefangennahme, die, daran zweifelt er keine Sekunde, der Rebellion einen beinahe tödlichen Schlag versetzt. Der Colonel wies die Journalisten darauf hin, dass sie dem Gefangenen Fragen stellen können. Schämen Sie sich nicht, für Ihre Attentate Frauen zu verwenden? Zeigen Sie Schuldgefühle? Haben Sie Angst, guillotiniert zu werden? Was sagen Sie den Angehörigen Ihrer Opfer? Warum einen von vornherein verlorenen Kampf führen? Werden Sie die Milde der Republik erflehen? Tahar hat sich alle Fragen sehr aufmerksam angehört und jeden Journalisten mit äußerstem Wohlwollen angesehen, aber er hat kein Wort verlauten lassen. Capitaine Degorce, ganz in seiner Nähe, blickte auf die Spitzen seiner Schuhe. Er versuchte nicht einmal mehr, sich dem Schamgefühl, das ihn packte, zu entziehen. Er wartete ganz einfach darauf, dass dieser Mummenschanz ein Ende finden sollte. Er überlegte sich, dass Jeanne-Marie am nächsten Tag sein Foto in den Zeitungen sehen würde und dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach stolz auf ihn sein werde. Falls sie eines Tages erfahren sollte, was er hier wirklich macht, würde sie es weder glauben noch verstehen können. Und sie hätte recht: aller Logik dieser Welt zum Trotz ist es im Grunde genommen nicht nachvollziehbar und besser war es, seine Frau würde niemals Kenntnis davon besitzen.
    (Wie könnte ich sie in meine Arme schließen? Wie könnte ich die Kinder umarmen? Was könnte ich ihnen sagen?)
    Als sie sich im Frühling 1945 zum ersten Mal trafen, war er zwanzig Jahre alt und wog fünfunddreißig Kilogramm. Sie war zehn Jahre älter als er und Kriegswitwe. Monatelang hatte sich ihr Mann an der Maginot-Linie zu Tode gelangweilt. Er schrieb ihr immer wieder, schrieb ihr, dass sie ihm fehle, dass er es kaum erwarten könne, zu kämpfen, und ab und an erlaubte er sich einige gewagte Andeutungen, indem er auf die Kälte der ohne sie verlebten Nächte anspielte. Noch in seinem letzten Brief wiederholte er, dass er die Deutschen furchtlos erwarte und er sie sein ganzes Leben lang lieben werde.

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