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Und meine Seele ließ ich zurueck

Und meine Seele ließ ich zurueck

Titel: Und meine Seele ließ ich zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérôme Ferrari
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die nichts zu sagen haben. Allein die durch das Leiden geführte Zerreißprobe unterscheidet sie voneinander. Wenn es umsetzbar wäre, müsste die ganze Stadt befragt werden. Capitaine Degorce kann nichts dagegen tun. Der einzige Punkt, der in seiner Macht steht, lautet, nicht weiter zu gehen, als die Logik es verlangt.
    Im Januar wurden der Besitzer und die Angestellten eines Bordells der oberen Casbah massakriert. Vielleicht, weil die FLN Prostitution und Alkohol in der arabischen Stadt verboten hatte, vielleicht, weil Si Messaoud, der Zuhälter, der Armee Informationen zugespielt hatte. Vielleicht auch beider Gründe wegen. Als Capitaine Degorce, begleitet von Moreau, dem Adjudant-Chef seiner Kompanie, und einigen Harkis, am Geschehen ankam, schleppten die Männer von Lieutenant Horace Andreani bereits fünf oder sechs Araber mit geschwollenen Gesichtern ab. Weinende Frauen standen um sie herum.
    – Wie geht es Ihnen, André?, fragte der Lieutenant.
    Capitaine Degorce maß ihn mit boshaften Blicken.
    – Verwenden Sie bitte meinen Dienstgrad, wenn Sie sich an mich wenden, Lieutenant.
    Andreani lächelte und murmelte etwas Undeutliches. Der Capitaine näherte sich der Gruppe der Festgenommenen.
    – Was haben die gemacht?, fragte er einen Harki aus Andreanis Sektion. Der Harki wandte sich ohne etwas zu sagen an den Lieutenant.
    – Na los, Belkacem, antworte dem Capitaine, sagte Andreani.
    – Sie haben einen zu tiefen Schlaf, mon Capitaine. Oder aber Gedächtnisverlust. Oder vielleicht sind sie auch taub. Werden ja sehen, ob wir sie heilen können.
    Belkacem näherte sich den Gefangenen und begann, auf Arabisch zu schreien und ihnen Ohrfeigen und Fußtritte zu versetzen. Die Frauen fingen gleichzeitig an zu schreien.
    – Ab jetzt!, gab Andreani den Befehl. Guten Tag, mon Capitaine.
    Trotz der Wut, die ihn erstickte, sagte Capitaine Degorce kein Wort. Er hatte nicht ein Gran Macht über Andreani; und er konnte überdies unter keinen Umständen drauf schwören, dass diese willkürlichen Verhaftungen nicht doch auf etwas hinauslaufen würden. Er sagte nichts. Er sah sich das Bordell an und blieb einige Augenblicke lang vor den Leichen stehen.
    (Ein unsägliches Leben. Ein unsäglicher Tod.)
    Als er wieder hinausging, hat eine alte Frau seine Hand ergriffen und unter Tränen begonnen, hastig zu sprechen.
    – Was will sie?
    – Sie sagt, ihr Sohn habe nichts getan, mon Capitaine, erklärte ein Harki. Sie sagt, dass er unschuldig sei und Sie ihn ihr zurückgeben müssen. Auch segnet sie Sie.
    (Jeder muss sprechen. Jeder.)
    Der Capitaine zog seine benetzte Hand zurück und machte einige Schritte zur Seite.
    – Sag ihr, dass ich nichts dagegen tun kann.
    *
    – Sollte der Kabyle uns verarscht haben, wird er sich daran erinnern, sagt Adjudant-Chef Moreau.
    Der Wagen des Capitaine hat eben erst auf dem Boulevard du Telemly eingeparkt. Der Himmel hatte sich schlagartig verdunkelt und seit einigen Minuten fällt ein kurzer Eisregen. Die Concierge des Gebäudes betrachtet die Militärs voller Missbilligung. Sie bestätigt ihnen, dass in dem Gebäude ein Araber lebt, Monsieur Sahraoui, aber ein sehr höflicher Araber, sehr gut erzogen, in der dritten Etage, und sie scheint darüber empört, dass man ihn welcher Angelegenheit wegen auch immer verdächtigen könnte.
    – Wir werden jetzt Folgendes tun, Madame: Sie werden mit uns zusammen hochgehen und Monsieur Sahraoui sagen, dass es Post für ihn gibt. Verstanden?
    – Aber nein, Capitaine! Ich kann diesen Herrn nicht einfach anlügen, in meinem Beruf, da ist Vertrauen eine ...
    – Du wirst jetzt machen, was dir der Capitaine gesagt hat, und deinen fetten Hintern bewegen, fällt ihr Adjudant-Chef Moreau ins Wort, ansonsten schwöre ich dir, dass ich dich abtransportieren lasse, dich und deine ganze Familie. Du wirst deine feinen Manieren dann im Umgruppierungslager an den Tag legen können. Hast du kapiert?
    Die Concierge hat einen schreckgeweiteten Mund und willigt wortlos ein.
    (Die Logik regiert und wir herrschen über die Stadt.)
    Sie steigen die Treppe so leise wie möglich hoch. Der gedämpfte Lärm seiner eigenen Schritte bewirkt beim Capitaine einen unangenehmen Eindruck, den zu verscheuchen er nicht fähig ist. Auf der dritten Etage verweist Moreau die Concierge mit drohendem Finger auf die Tür. Sie klopft. Der Capitaine lädt seine Pistole.
    – Monsieur Sahraoui? Es ist Post für Sie gekommen.
    Nach wenigen Augenblicken öffnet sich die Tür. Niemals wird der

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