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Und meine Seele ließ ich zurueck

Und meine Seele ließ ich zurueck

Titel: Und meine Seele ließ ich zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérôme Ferrari
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Kämpfen musste er nie. Nach der Offensive floh er mit allen gesunden, verängstigten und beinahe vollständig entwaffneten Männern seiner Kompanie gen Süden. Er musste gehofft haben, es bis nach Toulon oder Marseille zu schaffen, irgendwohin, wo er ein Boot hätte auftreiben können, das ihn zu ihr nach Korsika zurückgebracht hätte. Eines Abends jedoch, als er und seine Kameraden sich völlig schutzlos auf offenem Feld ausruhten und sich wahrscheinlich in Sicherheit wähnten, haben drei Stukas sie geortet und sind im Sturzflug pfeifend auf sie niedergegangen. Keiner von ihnen hat sich je wieder erhoben. Jeanne-Marie bewahrte seine Briefe sowie ein Foto von ihm auf, das ihn als Artillerist zeigt, der einen leicht verlegenen Schmollmund macht, als würde er sich schon im Vorhinein für seinen so wenig glorreichen Tod entschuldigen und ebenso für seine Liebesversprechungen auf immer, die ihm einzuhalten nicht so schwer gefallen waren. Sie ging zusammen mit ihrer Schwägerin nach Paris, um dort Jean-Baptiste, einen ihrer älteren Brüder, gefangen genommen 1940, wiederzufinden, der sehr bald schon mit dem Strom der Heimkehrer nach Frankreich eintreffen sollte. André Degorce kam kurz zuvor aus Buchenwald an. Er war sehr geschwächt, aber sein Gesundheitszustand ließ keine besondere Sorge aufkommen und er wartete im Hotel Lutetia darauf, seine Eltern wiederzufinden. Jeden Tag suchte er die Tafel mit den Vermisstenanzeigen auf. Er versuchte zu essen. Er schlief. Er verspürte keine Lust zu leben. Jeanne-Marie Antonetti war eines Morgens in Begleitung ihrer Schwägerin in der Empfangshalle des Lutetia erschienen. Sie suchte nach einer Möglichkeit, sich nützlich zu machen. Vielleicht erhoffte sie sich auch, dass ihr ein Wunder ihren Ehemann wiederbringen würde, dass sie ihn dort finden werde, krank, aber am Leben, und dass es ihnen genügen würde, ihr verlorenes Leben wieder aufzunehmen, ebenso schlicht, wie man aus einem Albtraum erwacht. Sie betrachtete die Deportierten mit einem Ausdruck unendlichen Schmerzes und als sie Andrés Blicke kreuzte, brach sie in Schluchzen aus und wiederholte immer wieder nur Mein Gott, der arme Kleine. Sie kam jeden Tag, um ihn zu sehen, wieder. Sie erzählte ihm von ihrem verschwundenen Mann und ihren Brüdern, sie war wegen des jüngsten, Marcel, in Sorge, er wurde 1943 eingesetzt und musste irgendwo in Deutschland sein, unversehrt, hoffte sie, und sie lachte, weil sie sah, dass André an Kräften wieder zunahm. Jean-Baptiste kam schließlich in bester Gesundheit an. Nach einigen Monaten im Stalag hatte er das Glück, auf einen Hof verschickt worden zu sein, und so hatte er den ganzen Krieg über wie ein Schwein futtern können. Jeanne-Marie hat ihn mit seiner Frau zusammen allein nach Korsika zurückkehren lassen. Sie wollte nicht fort, solange André seine Eltern nicht wiedergefunden hätte, und sie war bei ihm geblieben. An jenem Abend, als er ihr die Kleider ausgezogen hatte, hatte sie ihn an sich herangezogen und Mein Kleiner, mein Kind geseufzt, die Augen niedergeschlagen und es geschehen lassen. Ihre Haut war zart und frisch und wenn sie nicht mehr die Festigkeit einer Jungmädchenhaut besessen hatte, so sollte André dies niemals in Erfahrung bringen, denn sie war die erste Frau, die er in seinen Armen hielt. Sie hatten einige Monate später geheiratet, in der Dorfkirche von Jeanne-Maries Heimatort. Andrés Eltern waren nicht gerade glücklich darüber, ihn eine sehr viel ältere Frau heiraten zu sehen, aber es machte auf ihn den Eindruck, als autorisierte ihn das, was er erlebt hatte, dazu, von jetzt an einfach so handeln zu können, ohne sich je um die Zustimmung der Eltern Gedanken machen zu müssen. Alle aus der Familie von Jeanne-Marie warfen bewundernde Blicke auf die Uniform von Saint-Cyr, in welcher er sich vor dem Altar niederkniete, das Herz überbordend vor Dankbarkeit dem Herrn gegenüber, der uns vom Bösen errettet. Ein Mädchen wurde nach einen Jahr geboren und als Marcels Frau irgendwo an den Ufern des Niger im Wochenbett gestorben war, nahm Jeanne-Marie den kleinen Jungen bei sich zu Hause auf, damit er die Pflege erhalten konnte, die ihm ihr Bruder allein nicht hätte zukommen lassen können, und damit ihm die notwendige weibliche Präsenz zur Entfaltung seiner selbst nicht würde mangeln müssen. Marcel sollte Jacques, seinen Sohn, sehr viel später wieder zu sich nehmen, hatte es aber nicht getan und auch die Möglichkeit dazu nie mehr erwähnt. Seit

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