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Und meine Seele ließ ich zurueck

Und meine Seele ließ ich zurueck

Titel: Und meine Seele ließ ich zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérôme Ferrari
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seiner Hochzeit hat Capitaine Degorce sehr viel mehr Zeit von den Seinen getrennt gelebt als an ihrer Seite. Die Kinder schienen ihm in unsteten Schüben groß geworden zu sein. Als er nach seiner Kriegsgefangenschaft, kaum mehr wiegend als bei seiner Befreiung aus Buchenwald, aus Indochina zurückgekehrt war, fiel es ihm schwer, sie wiederzuerkennen, und Jeanne-Marie hatte geweint, als sie ihn so sah, wie damals, an jenem Morgen im Frühling 1945, in der Empfangshalle des Lutetia. Aber er hatte ununterbrochen an sie gedacht und stets so gehandelt, dass sie seines Namens wegen nicht hätten erröten müssen. Er weiß, dass dies heute nicht mehr der Fall ist. Er fühlt sich unendlich weit fort von ihnen und dennoch hat er Angst, dass der übelriechende Schatten seiner Sünde sie eines Tages heimsuchen werde.
    Er sagt vollkommen ernst zum Colonel, der sich Urlaub nimmt, um sich am guten Verlauf seiner Pressekonferenz zu berauschen, dass er Tahar nicht ein Haar krümmen werde.
    – Aber niemand verlangt das von Ihnen, Degorce, antwortet der Colonel leicht pikiert.
    – Es würde keinen Sinn ergeben, mon Colonel, es ist niemand über ihm, zu dem er uns führen könnte. Wirklich, es ist vollkommen unsinnig.
    – Schon in Ordnung, machen Sie, wie es Ihnen richtig erscheint, mein Guter, und gehen Sie mir damit nicht auf die Nerven, ich hab damit nichts zu tun.
    (Armer Idiot, armer, widerlicher Idiot und Angeber.)
    Der Colonel ist fort und er sucht Tahar in dessen Zelle auf.
    – Es tut mir leid, sagt Capitaine Degorce. Es tut mir leid, dass Sie dies alles haben erdulden müssen. Die Presse. Den Colonel.
    Tahar beginnt zu lachen.
    – Ja, sagt der Capitaine und lacht ebenfalls, vor allem den Colonel, nicht wahr?
    Er setzt sich Tahar gegenüber.
    – Man wird Ihnen nichts tun, keine Angst.
    – Ich bitte um keine Begünstigungen, Capitaine. Ich bin bereit, genauso behandelt zu werden wie meine Kameraden.
    – Das ist keine Begünstigung, das hat mit einer Begünstigung nichts zu tun. Das ist eine Frage der ... eine einfache Frage der Logik, wissen Sie. Sie können sich nicht selbst denunzieren, nicht wahr?
    – Ich verstehe.
    Capitaine Degorce verharrt für einen längeren Augenblick schweigsam. Er fühlt sich merkwürdig befriedet und empfindet keinerlei Lust zu gehen.
    – Ich habe über Wochen, die sich dehnten, mit Ihnen zusammengelebt, wissen Sie. In meinem Büro befindet sich Ihr Foto, ich habe Sie jeden Tag gesehen. Es ist merkwürdig, zu denken, dass alles zu Ende ist.
    Tahar schaut den Capitaine voller Interesse an.
    – Aber zu Ende ist nichts, Capitaine, überhaupt nichts.
    – Wieso? Es ist nur mehr eine Frage der Zeit, das wissen Sie genauso gut wie ich.
    – Sie reden wie Ihr Colonel, sagt Tahar sanft. Der tödliche der Rebellion zugefügte Schlag und der ganze Rest. Aber das entspricht nicht der Wahrheit.
    – Was entspricht der Wahrheit dann?, fragt der Capitaine.
    – Die Wahrheit, sie ist viel bescheidener, Capitaine, sagt Tahar, indem er sich zu ihm beugt. Die Wahrheit lautet, dass ich es bin, mit dem es aus ist, ich allein, und dies hat keinerlei Bedeutung, denn ich zähle gar nichts.
    Es liegt nichts Theatralisches in seiner Stimme, keine einzige Beuge, die welche Art von Unbescheidenheit auch immer oder auch nur den geringsten Wunsch nach Anerkennung verraten würde. Er hat schlicht und einfach ein Faktum ausgesprochen und jetzt streckt er sich auf der Strohmatratze aus und schließt mit einem Seufzer die Augen, als bereite er sich auf den Schlaf vor. Der Capitaine kann es sich nicht verkneifen, erneut das Mysterium seines Lächelns zu betrachten. Er erhebt sich.
    – Ich werde morgen wiederkommen. Falls Sie etwas benötigen, bitte zögern Sie nicht, es mich wissen zu lassen.
    – Ich benötige meine Freiheit, sagt Tahar fröhlich.
    – Ich sprach von etwas, das auch in meiner Macht steht, Ihnen anzubieten.
    *
    »André, mein Kind, mein Geliebter, wir denken so sehr an Dich. Unsere kleine Claudie hört nicht auf, mich zu fragen, ob es Dir möglich sein wird, zu ihrem Geburtstag bei uns zu sein. Meinst Du, es wäre Dir möglich? Ich weiß, dass Du Dein Bestes tust, aber sie wäre so glücklich darüber. Und ich auch. Schreib mir, was ich ihr sagen soll. Heute herrscht ein strahlendes Wetter und ihr Onkel Jean-Baptiste hat die Kinder zum Strand mitgenommen, zum Seeigelessen. Ich bin also mit Mama allein zu Hause geblieben und nichts hat mich von meinen mir teuersten Gedanken an Dich ablenken können.

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