Und meine Seele ließ ich zurueck
ihm von seiner Familie zu erzählen, er würde ihm von der seinen berichten, ihm sagen, dass er Mathematik über alles liebte und dass er sich erst nach dem Krieg dazu entschieden hätte, eine militärische Laufbahn einzuschlagen. Er würde gern die Handschellen vergessen, die Mauern der Zellen, die verbarrikadierte Stadt. Tahar öffnet die Augen und beugt sich erneut zu ihm vor.
– Vor allem, Capitaine, sagt er mit viel Wärme und Überzeugung, denken Sie trotz allem nicht, dass Sie arm dran wären, ich bitte Sie. Sie sind nicht arm dran. Das ist Ihnen wohl klar, oder?
– Ich beklage mich nicht.
– Dann ist ja gut. Denn Sie sind nicht arm dran. Und ich bin es auch nicht.
*
Ein furchtbarer Südwind hat sich von der Sahara her erhoben, ein apokalyptischer Wind, der die Kronen der Palmenbäume beugt, in den menschenleeren Alleen wütet und über die Stadt ein von Staub und Sand gesättigtes gelbes Licht gebracht hat. Alle anderen Farben sind verschwunden. Das Weiß der großen Haussmann-Gebäude ist erdfarben geworden und die blauen Kunstschmiedearbeiten scheinen aus dunklem Bernstein geformt zu sein. Sergeant Febvay und ein Soldat schauen neugierig aus dem Fenster.
– Gut jetzt, Jungs. Wir sind hier keine Wetterstation, brummt Adjudant-Chef Moreau.
– Und, Moreau, fragt Capitaine Degorce, ist er einsichtig, der Kerl? Da er seine Stimme vernimmt, dreht Febvay sich um und salutiert. Er hat am linken Wangenknochen einen Bluterguss. Nicht jedoch so groß, wie der Capitaine es sich gewünscht hätte. Aber es ist ihm egal. Er betrachtet das zerknirschte Gesicht des Sergeant, der wie ein Kind wirkt, das bei einem Fehler erwischt wurde, und er verspürt ihm gegenüber keinerlei Wut mehr. Eher eine schändliche Sympathie des Schulmeisters für einen ausgelassenen Faulpelz.
– Mon Capitaine, beginnt Febvay, ich möchte Ihnen sehr gerne sagen, dass ...
Capitaine Degorce macht ein kurzes Zeichen mit der Hand.
– Ist gut, Febvay, reden wir nicht mehr darüber. Ich will nichts mehr davon hören. Machen Sie Ihre Arbeit und benehmen Sie sich anständig. Also?, fragt Capitaine Degorce erneut und wendet sich Moreau zu.
– Nichts, mon Capitaine, sagt Moreau, nichts, gar nichts. Er behandelt uns von oben herab, grad so, als sollten wir uns verpissen. Und er singt uns Liedchen über Gedankenfreiheit, Emanzipation der unterdrückten Völker und ähnlichen Schwachsinn. Man könnte sich im Varieté wähnen.
– Wir haben Zeit, sagt Capitaine Degorce. Ich bin mir sicher, dass er nicht durchhalten wird.
– Wenn Sie erlauben, mon Capitaine, beachtet Moreau den Verhaltenskodex, er wird noch schneller nachgeben, wenn wir ihm ein wenig Saft in die Eier jagen, gar nicht mal zu stark, der Typ ist ja im Übrigen nur ein Großmaul, mehr steckt bei dem nicht dahinter ...
– Gar nicht zu vergleichen mit dem Kabylen, sagt Febvay.
– Ah!, der Kabyle, sagt ein Soldat. Harter Knochen, der Kabyle!
Darauf folgt eine kurze Unterhaltung über die jeweiligen Vorzüge der befragten Verdächtigen, aus der einhellig hervorgeht, dass Mut und Widerstand von Abdelkrim Aïd Kaci außergewöhnlich waren, und Moreau stimmt mit bewundernden Kopfbewegungen zu, in seinen Augen dabei ein Ausdruck, der an Nostalgie erinnert. Ein mutiger Mann, ja ... bestätigt Capitaine Degorce und stellt bestürzt fest, dass auch er diese Art Unterhaltung unwiderstehlich fesselnd findet.
(Oh, die Armseligkeit unserer Seele!)
Der menschliche Geist ist befähigt, wunderbar viele und unterschiedliche Dinge zu umspannen. Aber mit dem ersten Tag in Buchenwald, Capitaine Degorce erinnert sich daran, verlieren diese an Reiz und hören schlichtweg auf zu existieren, angefangen bei den allerhöchsten, den verehrungswürdigsten, bis schließlich selbst der primitivste abstrakte Gedanke unmöglich wird. Deutlich gesprochen gibt es überhaupt keinen Gedanken mehr und dem beschädigten und verengten Geist bleiben nur mehr die einer unglaublich primitiven, blinden, langmütigen und hartnäckigen Lebensform entsprechenden Beschäftigungen – die einer im uralten Gletscher gefangenen Bakterie, die einer Larve im Finstern. Man schaut, ohne dessen müde zu werden, dem sinnfreudigen Spektakel eines ein Stück Brot methodisch kauenden Mundes mit vor lauter Verlangen und Respekt glänzenden Augen zu. Drei Körper hängen am Galgen, andere Verurteilte harren ihrer Stunde und man denkt an nichts anderes als an jenen Moment, da man sich in den Baracken vor dem kalten Wind des Herbstes
Weitere Kostenlose Bücher