Und meine Seele ließ ich zurueck
mit roten Kreuzen bedeckt sein und er Commandant. Er denkt jetzt mit Gleichgültigkeit daran. Die Zukunft ist ebenso irreal wie die Welt, die ihn umgibt. Tahar sieht auf dem Organigrammfoto müde und resigniert aus. Auf der Titelseite der Zeitungen ist die ganze Müdigkeit verschwunden. Er lächelt höflich, als verdienten die Fotografen, die sich um ihn herum aufstellen, seine Aufmerksamkeit und Höflichkeit. Ihm zur Seite der Colonel lächelt ebenfalls, ein unerträglich zufriedenes Lächeln; man könnte meinen, die beiden schicken sich an, gemeinsam essen zu gehen. Und Capitaine Degorce begreift jäh, dass es diese Fotos sind, die Tahar das Leben gerettet haben. Am Vorabend konnte der Colonel seinem Wunsch nicht widerstehen, die Presse zusammenzurufen, um wie ein Pfau zu stolzieren, er hat dies mit Eigeninitiative getan, ohne an irgendetwas anderes zu denken als an die Befriedigung seiner Eitelkeit, und diese Eigeninitiative wurde an höherer Stelle keineswegs geschätzt, denn nun war Tahar ins Rampenlicht geworfen und kann nicht mehr verschwinden.
(Gesegnet sei der Trottel.)
Die Generäle mussten sich schwarz geärgert haben vor Zorn, Salan höchstpersönlich, und wahrscheinlich auch der Ministerresident, sie werden wohl Paris angerufen haben, den Colonel aufgefordert haben, eine Lösung zu finden, aber Lösungen gibt es keine, es ist zu spät und dem Colonel bleibt nichts anderes zu tun, als in seiner Ohnmacht zu schmoren, voller Bedauern darüber, dass die Dinge nicht anders abgelaufen sind, Capitaine Degorce hört seine wutentbrannte Stimme am Telefon, er erinnert sich an dessen widerwärtige Anspielungen und er fühlt sich herabgewürdigt, dass man ihn für fähig hält, niederträchtige Aufgaben ohne mit der Wimper zu zucken zu erledigen, als wäre er ein Scherge, ein Vollstrecker niederer Arbeiten und kein französischer Offizier, und die Wut verschlägt ihm derart den Atem, dass er kurz davor ist, den Colonel anzurufen, um ihn mit Beleidigungen zu überschütten.
(Was ist nur aus mir geworden, mein Gott, was ist nur aus mir geworden?)
Aber nichts ist von Dauer. Seine stärksten Gefühle können ihre Intensität nicht halten, sie verblassen und kühlen ab und verlaufen zu einem vagen Eindruck aussichtsloser Verdrossenheit, der nicht von ihm ablässt. Alles ist gekünstelt und hohl. Wie war es nur möglich, dass er nicht umgehend verstanden hatte, was der Colonel hatte sagen wollen? Wer ist hier der Trottel? In seinen Adern muss eisiges Reptilienblut fließen. Seine Gedanken sind langsam, sie versanden in einem endlosen Stottern. Sie interessieren ihn nicht.
(Was ist nur aus mir geworden, mein Gott, was ist nur aus mir geworden?)
Und die Stimme sagt zwar Mein Gott, aber er weiß nicht, an wen sich diese Frage richtet.
*
Robert Clément. Vierundzwanzig Jahre alt. Buchhalter in einer Reederei. 1954 nach Algerien gekommen. Ein junger, mickriger Mann mit dünnem Schnurrbart, der sein Gesicht noch juveniler wirken lässt. Er sitzt mit sehr aufrecht gehaltenem Rücken auf seinem Stuhl und schaut Capitaine Degorce und Adjudant-Chef Moreau mit offener Herablassung an. Sein Hemd ist unter den Achseln schweißnass.
(Der große Augenblick seines Lebens.)
Eine sehr lang anhaltende Ruhe breitet sich aus und als Capitaine Degorce das Gefühl hat, dass sie lang genug angedauert hat, fragt er mit fröhlichem Tonfall:
– Sie sind Kommunist?
– Das geht Sie nichts an, antwortet der junge Mann, aber ja, ich bin Kommunist. Gilt das inzwischen als Verbrechen?
– Oh nein, ganz und gar nicht!, ruft der Capitaine lächelnd aus und fügt voller Überzeugung und zu Clément gebeugt hinzu: Wissen Sie, ich habe nichts gegen Kommunisten, ich nicht, absolut nichts, und ja, sogar das Gegenteil ist der Fall: Ich schulde einem Kommunisten mein Leben, stellen Sie sich vor. Ja, ja! Ich werde vielleicht die Gelegenheit haben, Ihnen das zu erzählen, wenn Sie lang genug bei uns bleiben. Raymond Blumers, sagt Ihnen nichts? Ein Widerstandskämpfer.
(Die Wahrheit. Die Lüge.)
Clément schüttelt den Kopf.
– Nein.
– Nein?, wiederholt Capitaine Degorce traurig.
– Nein. Ist mir auch egal.
– Mon Capitaine, schlägt Adjudant-Chef Moreau vor, vielleicht könnten zwei Schläge in die Fresse helfen, würde ihn bestimmt deutlich höflicher stimmen, den Kameraden?
– Nein, Moreau, nein, sagt der Capitaine. Monsieur Clément ist verstimmt und er hat sicher seine Gründe, es zu sein. Wir könnten die Anstrengung eingehen, seine
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