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Und meine Seele ließ ich zurueck

Und meine Seele ließ ich zurueck

Titel: Und meine Seele ließ ich zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérôme Ferrari
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Gedanken, von denen loszukommen ihm nicht gelingt, die jedoch auf nichts mehr verweisen. Vielleicht haben sogar die Bande selbst nie in anderer Form existiert denn als bloße inkonsistente Vorstellungen oder Konventionen, es ist unmöglich, dies zu erinnern, und Capitaine Degorce hat das Gefühl, so weit davongetragen worden zu sein, dass er niemals zurückkommen werde. Er müsste den Mut besitzen, auf die Briefe, die noch immer dort auf seinem Schreibtisch liegen und voller unverständlicher Sätze und Gefühle sind, nicht mehr zu antworten.
    »... ein kleiner Frühlingsschnee, aus dem Juragebirge, der uns bis ins Mark hinein hat frieren lassen ...«
    »... und alle sind so stolz auf Dich, André: Jean-Baptiste, der ja seine Rente genießt, bedauert es schon fast, dass er nicht auch ...«
    »... und Du weißt, mein lieber Schwager, wie sehr ich Dir dankbar bin, dass Du für Jacques sorgst, der in Dir das Vorbild finden wird und den Vater, den er verdient, wohingegen ich selbst ja nur ...«
    Es wäre besser gewesen, Claudie wäre nie zur Welt gekommen und der erste Ehemann von Jeanne-Marie wäre nie verstorben. Vielleicht denkt sie noch immer sehnsüchtig an ihn, wenn Sie an seinem im Salon hängenden Bild vorbeigeht. Capitaine Degorce hat sich damit abgefunden, niemals an die Besonderheit dieser ersten Liebe heranzureichen, von der er nichts weiß. Es wird ihm bewusst, dass Jeanne-Marie sich ihm stets mit mehr Zärtlichkeit als Wollust hingegeben hat, und zum ersten Mal empfindet er darüber einen schmerzhaften Groll.
    (Es ist wahr, alles, wofür ich kämpfe, existiert bereits nicht mehr.)
    Aber die Gedanken, die ihn beinahe erdrücken, haben in Wirklichkeit überhaupt kein Gewicht und die leichteste Brise genügt, sie zu zerstreuen. Er ist sich selbst gegenüber ungerecht und noch ungerechter denen gegenüber, die ihn lieben. Es ist nicht wahr, er hat sich von ihnen nicht entfernt, und das, wofür er kämpft, existiert noch immer, er erfüllt einen Einsatz, äußerst schwierig und kaum zu ertragen, aber unabwendbar, um den Terrorattentaten ein Ende zu bereiten. Keine andere Vorgehensweise ist vorstellbar und es liegt nicht an ihm, sich zu rechtfertigen. Nur ein Feigling und Verräter wie der General de Bolladière kann seine Seelenzustände über die Erfordernisse des Allgemeinwohls stellen, und er ist kein Feigling. Später dann, da wird er es Jeanne-Marie erklären. Jetzt jedoch, jetzt muss er sich konzentrieren und darf dies nicht vergessen. Er muss seine Gedanken ordnen, ein für alle Mal, und diese erschöpfenden und unnützen Schwankungen beenden. Er liest aufmerksam den Brief seiner Eltern und nimmt sich vor, ihnen eine schöne und ausführliche Antwort zu schreiben.
    *
    Er ist gerade dabei, ein weißes Blatt anzustarren, den Stift in der Hand, als das Klingeln des Telefons ihn erlöst. Die Stimme des Colonel ist ungewöhnlich mild und ruhig.
    – Wir händigen Hadj Nacer der Justiz aus, Degorce. Wir schicken ihn nach Paris. Soll er dort versuchen, seinen Kopf zu retten, und wenn man ihn enthauptet, umso besser. Wir haben mehr als nötig getan, denke ich.
    – Gut, mon Colonel. Wo darf ich ihn hinbringen? Und wann?
    – Sie, Degorce, bringen ihn nirgendwohin. Ihre Rolle endet hiermit und im Übrigen soll ich Ihnen die besten Glückwünsche von ...
    Die Stimme ist unverblümt warmherzig jetzt, aber Capitaine Degorce nimmt sie nicht mehr wahr.
    – Mon Colonel, unterbricht er, was soll das heißen, meine Rolle endet hiermit? Wie lauten die vorgesehenen Verfügungen?
    – Lieutenant Andreani wird diese Nacht Hadj Nacer abholen kommen, ausschließlich Hadj Nacer, und er wird ihn bis zu dessen Überstellung in die Hauptstadt am morgigen Tage übernehmen.
    – Mon Colonel, sagt Capitaine Degorce und versucht ein Gefühl zu unterdrücken, das er sich nicht erklärt, mon Colonel, ich verstehe das Interesse dieser Vorgehensweise nicht und ich erlaube mir, darauf zu bestehen, mich um Hadj Nacer bis zum Schluss zu kümmern.
    – Nein, sagt der Colonel.
    – Mon Colonel, insistiert Capitaine Degorce, er ist mein Gefangener, Andreani hat in dieser Angelegenheit nichts verloren und ich beharre darauf, dass ...
    – Maul gehalten, mein Gott!, explodiert der Colonel. Ihr Gefangener! Ihr Gefangener? Für wen halten Sie sich eigentlich, he? Sie sind ein Offizier, verdammte Scheiße!, ein Offizier der französischen Armee, kein Bandenhäuptling, und Sie unterliegen einer Hierarchie, schon vergessen?, einer Hierarchie, die

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