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Und meine Seele ließ ich zurueck

Und meine Seele ließ ich zurueck

Titel: Und meine Seele ließ ich zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérôme Ferrari
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fatalistisch mit den Schultern:
    – ... werden Sie zu guter Letzt verlieren, so Gott will!, schließt er lächelnd.
    (Und na bitte. Ein Fanatiker. Kalt und kalkulierend. Die Ruhe und die Gleichgültigkeit eines Fanatikers. Na bitte.)
    Die Enttäuschung tut nicht weh, im Gegenteil. Sie lässt alles leichter ertragen, und zuallererst sich selbst. Capitaine Degorce hat nicht einmal das Gefühl, geprellt worden zu sein. Er bedauert weder die hier verbrachte Zeit noch, dass er so naiv war, sich zu bedauerlichen Vertraulichkeiten hinreißen haben zu lassen. Es spielt keine Rolle, jetzt. Alles ist perfekt, harmlos und glatt.
    – Ich spiele kein Schach, sagt Capitaine Degorce, als er sich erhebt. Ich werde Sie allein lassen.
    – Es tut mir leid für Sie, murmelt Tahar.
    Capitaine Degorce dreht sich brüsk zu ihm um.
    – Verzeihung?, sagt er mit Anmaßung. Verzeihung?
    Tahar ist nach vorn gebeugt, seine Hände sind gefaltet und er lässt seine Augen traurig auf ihm ruhen. Der Capitaine spürt die schmerzhafte Brandwunde seines Mitgefühls, er möchte wütend werden, scharfe Worte finden und ohne sich umzudrehen rausgehen, aber dazu ist er nicht fähig. Er bleibt da, ratlos, mit seinen plötzlich zu Asche gewordenen Gewissheiten.
    – Ihnen fehlt der Glaube, Capitaine, ein vitales Bedürfnis, meine ich, sagt Tahar, und Sie haben Ihren Glauben verloren ... ich bitte Sie, setzen Sie sich noch für einen Moment ...
    Und Capitaine Degorce setzt sich hin.
    – ... Sie haben Ihren Glauben verloren und werden ihn nicht wiederfinden können, denn alles, wofür Sie kämpfen, existiert bereits nicht mehr. Und es tut mir leid für Sie.
    – Woher wollen Sie das wissen?, fragt der Capitaine mit tonloser Stimme.
    – Es gibt so viele Dinge, auf die man verzichten muss, sagt Tahar schmerzerfüllt, während er sich noch weiter nach vorn beugt, so viele Dinge, meinen Sie, ich wüsste dies nicht? Ich weiß es und Sie wissen es ebenfalls, Sie auch, und es gibt Menschen, die können das sehr gut, für die ist es sehr einfach, aber jemand wie Sie ... wie sollte jemand wie Sie das durchhalten, ohne ein wenig Glauben? Das ist unmöglich, schlichtweg unmöglich ...
    Capitaine Degorce schüttelt sanft den Kopf.
    – Glaube?, fragt er. Sie denken, dass der Glaube rechtfertigen kann, was Sie in Philippeville, in der Milk Bar, in El-Halia getan haben?
    Er hätte sich gewünscht, dass seine Frage ironisch klingt, und wundert sich, dass sie es ganz und gar nicht tut.
    – Oder das, was ich hier mache?, fragt er noch weiter.
    – Oh nein!, antwortet Tahar, der Glaube rechtfertigt nichts ... Das ist nicht seine Funktion, nein ... Für was sollen Rechtfertigungen denn auch gut sein?
    Capitaine Degorce antwortet nicht.
    – Ich würde gern rauchen, sagt Tahar und der Capitaine zündet zwei Zigaretten an. Tahar lehnt sich gegen die Wand und raucht mit sichtbarem Genuss.
    – Sind Sie schon einmal ins Hinterland gefahren, Hauptmann?, fragt er nach einer Weile.
    – Ja, bin ich, antwortet Capitaine Degorce, und ich sehe auch, worauf Sie hinauswollen, ich sehe es sehr deutlich. Ich sage nicht, dass alles zum Besten steht, ich weiß, dass da gewisse Dinge ... Ungerechtigkeiten ... aber dafür gibt es andere Wege und sobald hier wieder Frieden herrscht, Sie werden sehen ... Wir werden alles wiedergutmachen können.
    Er ist bestürzt, festzustellen, wie wenig er glaubt, was er da ausspricht. Erneut sind die Worte schwer geworden, unverdaulich, schmutzig.
    – Das ist wahr, Capitaine, sagt Tahar lächelnd, so wird es sich abspielen, ganz genau so. Wir werden alles wiedergutmachen. Aber nicht Sie.
    Er unterdrückt ein Gähnen und macht sorgfältig seine Zigarette aus.
    – Wie ist das Wetter draußen?, fragt er.
    – Es ist schön, antwortet Capitaine Degorce. Und warm.
    – Es ist schön, wiederholt Tahar.
    – Möchten Sie für einen Augenblick Luft schnappen?, fragt Capitaine Degorce. Einige Schritte im Hof? Ich kann, wenn Sie es wünschen, wenn Sie mir Ihr Wort geben, dass ...
    – Ich kann mein Wort nicht geben, unterbricht Tahar ihn. Außerdem ist es viel einfacher, wenn ich hierbleibe. Es ist sehr viel einfacher so.
    – Wie Sie meinen.
    Sie schweigen. Tahar schließt die Augen. Capitaine Degorce hat sein Essen kaum angerührt. Die erstarrten Reste auf seinem Teller ekeln ihn an. Er müsste einen Soldaten zum Abräumen rufen. Er müsste weniger rauchen. Er hat Lust zu diskutieren, schweigt aber. Der Krieg langweilt ihn, jetzt. Er würde Tahar gerne bitten,

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