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Und morgen bist Du tot

Und morgen bist Du tot

Titel: Und morgen bist Du tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter James
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musste, wann immer sie ihn zum Mittag- oder Abendessen rief.
    Jedenfalls würde er hier nicht zu spät zum Essen kommen, dachte sie und lächelte wehmütig. Sie zog die Nase hoch und fischte ein Taschentuch aus ihrer Jeans, um die Tränen abzuwischen, die über ihre Wangen liefen.
    Scheiße, das kann doch nicht das Ende sein. Oder?
    Als wollte es energisch widersprechen oder ihr Mut machen, trat das Baby in ihrem Bauch.
    »Danke, Knubbel«, flüsterte sie.
    Seit der diensthabende Arzt vor einer halben Stunde in offenem Hemd und grauer Hose, begleitet von einem Trupp Weißkittel, seine Visite beendet hatte, war es auf der Intensivstation geradezu unheimlich still. Man hörte nur den Alarm, der alle paar Minuten ertönte und zunehmend an Susans Nerven zerrte. An jedem Monitor, der die Vitalzeichen der Patienten aufzeichnete, befand sich ein solches Alarmsignal.
    Hinter den geschlossenen blauen Vorhängen des gegenüberliegenden Bettes bewegte sich etwas, und Susan konnte eine Frau sehen, die ein Stück weiter den Boden wischte. Daneben stand ein gelbes Warnschild mit der Aufschrift VORSICHT RUTSCHGEFAHR. Ein paar Betten weiter massierte eine Physiotherapeutin die Beine eines älteren Mannes, der ebenfalls intubiert und verkabelt war. Alle Patienten waren still, manche schliefen, andere starrten ins Leere. Susan hatte mehrere Besucher kommen und gehen sehen, war im Augenblick aber die Einzige auf der Station.
    Wieder ertönte von irgendwoher das geradezu musikalische Ding-Dong eines Alarms.
    Nat lag in Bett 14. Die Betten waren von 1 bis 17 durchnummeriert, wie ihr die Nachtschwester erklärt hatte. Eigentlich gab es nur sechzehn Betten auf dieser Station, da man aus einem Aberglauben heraus kein Bett 13 aufgestellt hatte, womit Bett 14 im Grunde Nummer 13 war.
    Nat war ein guter Arzt. Er dachte an alles, analysierte alles, wollte alles mit dem Verstand erfassen. Mit Aberglauben hatte er nichts zu schaffen. Sie hingegen war immer abergläubisch gewesen. Wenn sie eine einzelne Elster sah, suchte sie stets nach einer zweiten, schaute niemals durch Glas auf den Neumond und wäre nie im Leben unter einer Leiter durchgegangen. Es gefiel ihr überhaupt nicht, dass er ausgerechnet in diesem Bett lag, aber die Station war voll, und sie konnte schlecht um einen Tausch bitten.
    Sie erhob sich, unterdrückte ein Gähnen und ging zum Fußende, wo der Laptop der Krankenschwester auf einem Rollwagen stand. Gestern war ein langer Tag gewesen. Sie war kurz vor Mitternacht nach Hause gefahren und hatte versucht zu schlafen, es nach wenigen unruhigen Stunden aber aufgegeben. Sie war unter die Dusche gegangen, hatte einen starken Kaffee gekocht, die CDs von den Eagles und von Snow Patrol zusammengesucht, wie die Krankenschwester vorgeschlagen hatte, Nats Waschzeug gepackt und war wieder in die Klinik gefahren.
    Er hatte seit mehreren Stunden die Stöpsel des iPod in den Ohren, zeigte bislang aber keine Reaktion. Sonst wiegte er sich im Takt der Musik, nickte mit dem Kopf oder ließ die Schultern kreisen. Manchmal bewegte er wie in Zeitlupe die Arme. Wenn er seine Hemmungen ablegte, erwies er sich als ausgezeichneter Tänzer. Sie erinnerte sich, wie faszinierend sein Timing gewesen war, als er bei ihrer ersten Begegnung auf der Geburtstagsparty einer Krankenschwester mit ihr Rock ’n’ Roll getanzt hatte.
    Sie schaute ihn an. Schaute auf den durchsichtigen endotrachealen Schlauch in seinem Mund. Die winzige Sonde, die mit Klebeband am Schädel befestigt war, um den Hirndruck zu messen. All den anderen Kram, der an ihm festgeklebt war oder in seinen Körper führte. Die Wölbung des Käfigs unter der Bettdecke, der seine gebrochenen Beine schützte. Sie warf einen Blick auf den Hauptmonitor, dessen Wellen und Spitzen die Vitalzeichen markierten.
    Sein Puls lag bei 77, das war in Ordnung. Sein Blutdruck betrug 160 zu 90, auch gut. Die Sauerstoffwerte waren auch gut. Der Hirndruck lag zwischen 15 und 20, während er bei einem gesunden Menschen geringer als zehn sein sollte. Ab 25 wurde es kritisch.
    »Hallo, Nat, mein Liebling«, sagte sie und berührte seinen rechten Arm, gleich über dem Namensband und den Heftpflastern, die die Schläuche an Ort und Stelle hielten. Dann nahm sie ihm sanft die Stöpsel aus den Ohren und legte ihren Mund ganz nah an sein rechtes Ohr. Sie versuchte, so fröhlich und zuversichtlich wie möglich zu klingen. »Ich bin ganz nah bei dir, Liebling. Ich liebe dich. Knubbel tritt ganz schön. Kannst du mich hören?

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