Und morgen bist Du tot
gelangte. Aus der Tatsache, dass man seine Organe entfernt hat, können wir jedoch schließen, dass es ziemlich wahrscheinlich ist.«
»Die wenigsten Chirurgen arbeiten unter Wasser«, witzelte Michael Forman.
»Auch der Mageninhalt ist wenig aufschlussreich. Das meiste wurde durch die Verdauungsprozesse aufgelöst, die sich nach dem Eintritt des Todes jedoch verlangsamen. Es gibt einige Partikel, die auf Hähnchenfleisch, Kartoffeln und Brokkoli deuten. Vermutlich war er in den Stunden vor seinem Tod noch in der Lage, eine richtige Mahlzeit zu sich zu nehmen. Das passt nicht so ganz zum Fehlen der Organe.«
»In welcher Hinsicht?«, erkundigte sich Grace.
»Nun ja«, sagte Nadiuska und deutete mit dem Skalpell auf den Längsschnitt im Oberkörper. »Einen solchen Einschnitt nehmen Chirurgen vor, wenn sie die Organe eines Spenders entnehmen. Alle inneren Organe wurden auf chirurgische Weise entfernt, es muss ein erfahrener Operateur gewesen sein. Das passt auch zu der Tatsache, dass die Blutgefäße abgeklemmt wurden, bevor man sie durchtrennte. Die Capsula adiposa – für die Köche unter Ihnen, das Nierenfett – wurde mit einer Klinge geöffnet.«
Grace nahm sich vor, in nächster Zeit keine Gerichte mit Nierenfett zu essen.
»Also, alles deutet darauf hin, dass es sich um einen Organspender handelt. Darauf weisen auch die äußeren Merkmale klinischer Eingriffe hin, beispielsweise der Einstich einer Nadel im Handrücken.« Sie zeigte auf den rechten Ellbogen. »Ein weiterer Einstich in der Ellbogengrube. Das alles sind Anzeichen für Kanülen, durch die Infusionen und Medikamente verabreicht wurden.«
Sie nahm eine kleine Taschenlampe, öffnete sanft den Mund des Toten und leuchtete hinein. »Wenn Sie genau hinschauen, können Sie im Inneren der Luftröhre unterhalb der Stimmbänder eine Rötung und ein Druckgeschwür erkennen, wie sie durch den Ballon bei einer endotrachealen Intubation entstehen. Er wurde beatmet.«
Grace nickte. »Er hat aber eine feste Mahlzeit zu sich genommen. Das ging wohl kaum mit einem Beatmungsschlauch im Hals, oder?«
»Da haben Sie völlig recht, Roy«, sagte Nadiuska. »Das verstehe ich auch nicht.«
»Vielleicht war er ein Organspender, der auf See bestattet und von der Strömung aus dem Begräbnisgebiet getragen wurde«, schlug Branson vor.
Die Gerichtsmedizinerin schürzte die Lippen. »Vorstellbar wäre es schon. Aber die meisten Organspender bleiben noch eine Weile an die Geräte angeschlossen, werden intubiert und per Infusion mit Flüssigkeit versorgt. Mir kommt es komisch vor, dass noch verdaute Nahrung im Magen vorhanden ist. Wenn ich die toxischen Untersuchungen durchgeführt habe, kann ich sagen, ob Mittel zur Muskelentspannung oder andere Medikamente verabreicht wurden, wie man sie gewöhnlich bei Organentnahmen verwendet.«
»Können Sie mir sagen, wie viele Stunden vor seinem Tod er die Nahrung zu sich genommen hat?«
»Höchstens vier bis sechs Stunden.«
»Könnte er nicht plötzlich gestorben sein?«, fragte Grace. »An einem Herzinfarkt oder bei einem Motorradunfall?«
»Er hat keine Verletzungen, die auf einen derartigen Unfall schließen lassen. Kein Schädel- oder Hirntrauma. Ein Herzinfarkt oder ein Asthmaanfall sind denkbar, angesichts seines Alters aber ziemlich unwahrscheinlich. Ich denke, wir sollten nach einer anderen Ursache suchen.«
»Zum Beispiel?« Grace kritzelte spontan etwas auf seinen Block, um das er sich später kümmern musste.
»Darüber kann ich zu diesem Zeitpunkt nicht spekulieren. Ich hoffe auf die Laborergebnisse. Auch wäre es nützlich, seine Identität zu ermitteln.«
»Wir arbeiten dran.«
»Ich bin mir sicher, dass die Laboruntersuchungen den entscheidenden Hinweis erbringen werden. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass die Klebeproben von der Haut etwas ergeben, da er nicht in wasserdichtes Material gewickelt war«, fuhr Nadiuska fort. Sie hielt kurz inne und fuhr dann fort: »Da wäre noch eins. Wegen des Essens im Magen. In Großbritannien gibt es keine automatische Organentnahme ohne Zustimmung, so dass es oft viele Stunden nach dem Hirntod dauert, bis man die Erlaubnis der Angehörigen erhält. In Ländern wie Österreich und Spanien, in denen man einer Organspende explizit widersprechen muss, kann das sehr viel schneller gehen. Es wäre also denkbar, dass der Mann aus einem dieser Länder stammt.«
Grace dachte darüber nach. »Gut, aber wenn er in Spanien oder Österreich gestorben ist, was hatte er
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