Und morgen bist Du tot
Kinder sorgt.« Er schüttelte den Kopf. »Das ist wirklich toll! Was soll ich denn machen? Soll ich meinen Kollegen sagen, tut mir leid, ich weiß, das ist eine Mordermittlung, aber ich muss jetzt nach Hause fahren und Remi baden ?«
Die Worte jagten Grace einen Schauer über den Rücken. Auf einmal wurde ihm klar, dass ihm genau das Gleiche bevorstehen könnte, wenn erst sein Kind geboren war. Für ihn war es normal, um spätestens sieben Uhr morgens am Schreibtisch zu sitzen. Und nicht vor acht Uhr oder noch später nach Hause zu gehen. Würde er seine Arbeitszeiten ändern müssen, wenn er Vater war?
Sicher, aber es würde seiner Karriere schaden.
Er sah in Glenns fragende Augen. Und erkannte, dass seinem Kollegen die Antwort nicht gefallen würde. Um ein guter Polizist zu sein, musste man mit der Polizei verheiratet sein. In den dreißig Jahren bis zur Pensionierung – oder sogar länger, wie es neuerdings möglich war – kam die Arbeit immer an erster Stelle. Wenn Ehepartner oder Lebensgefährten das akzeptierten, hatte man Glück gehabt. Leider gab es sehr viele Menschen wie Ari, bei denen das nicht der Fall war.
»Weißt du, worin das Problem besteht?«, fragte Grace.
Branson schüttelte den Kopf.
»Sie hat vermutlich recht. Es mag ein bisschen gefühllos formuliert sein, aber im Grunde hat sie recht. Du musst dich entscheiden, ob du eine erfolgreiche Karriere oder eine erfolgreiche Ehe möchtest. Beides zu kombinieren ist möglich, aber nur mit einer sehr toleranten und verständnisvollen Partnerin.«
»Der Witz ist doch, dass ich zur Polizei gegangen bin, damit meine Kinder stolz auf mich sein können.«
»Das sollten sie auch.«
»Aber wie sollen sie stolz auf mich sein, wenn ich den Dienst quittiere?«
»Um wieder als Rausschmeißer zu arbeiten? Oder als Sicherheitsbeamter am Flughafen? Es geht nicht darum, welchen Job du hast, sondern was für ein Mensch du bist. Du kannst ein guter und sehr menschlicher Rausschmeißer sein. Du kannst ein wachsamer Sicherheitsbeamter sein. Du kannst auch ein beschissener Polizist sein. Es geht um deine Persönlichkeit, nicht um eine Dienstmarke oder deinen Ausweis.«
»Klar doch. Sicher. Aber du weißt doch, was ich meine.«
»Hör zu, ich habe dir schon mal gesagt, dass ich nicht der Richtige bin, um den Eheberater zu spielen. Aber soll ich dir mal ehrlich sagen, was ich glaube? Wenn Ari dich wirklich, wirklich liebte, würde sie bei dir bleiben. Ich bin nicht sicher, ob sie dich überhaupt noch liebt, mit dieser Scheidungsgeschichte und den ganzen Vorwürfen, die sie dir macht. Wenn du den Dienst quittierst, um sie zufriedenzustellen, wird sie irgendwann etwas anderes wollen. Was immer du tust, sie wird es letztlich falsch finden. Ich glaube, sie ist einfach ein ruheloser Mensch. Du kannst sie immer nur für kurze Zeit zufriedenstellen. Ich an deiner Stelle würde bei meiner Karriere bleiben.«
Branson nickte düster.
»Weißt du, was Winston Churchill über Beschwichtigungsversuche gesagt hat?«
»Was denn?«
»Wer beschwichtigt, füttert ein Krokodil in der Hoffnung, dass es ihn letztlich auffressen wird.«
36
DIE BEIDEN TOTEN waren auf die gleiche Weise wie die erste Leiche ins Meer geworfen worden, mit blauer Kordel in einer Plastikplane verschnürt und mit Betonsteinen beschwert.
Als sie im Leichenschauhaus eintrafen, waren sie in zwei weitere Schichten gewickelt, die weißen Säcke aus Kunststoff, in denen die Taucher sie an die Oberfläche gebracht hatten, und die robusteren schwarzen Leichensäcke, in denen man sie an Land und später ins Leichenschauhaus transportiert hatte.
Bei dem quälend langsamen Prozess des Auspackens wurde zunächst ein männlicher Teenager enthüllt, der etwa ein oder zwei Jahre älter als der andere Tote sein mochte, wie Nadiuska schätzte. Auch bei ihm fehlten Herz, Lunge, Nieren und Leber. Sie waren auf die gleiche sorgfältige Weise chirurgisch entfernt worden.
Nadiuska arbeitete jetzt am Körper eines jungen Mädchens, ebenfalls im Teenageralter. Der Tod raubte einem Gesicht die Persönlichkeit, dachte Grace, und hinterließ eine leere Fläche, aus der sich nur schwer schließen ließ, wie der Mensch zu Lebzeiten ausgesehen hatte. Doch trotz der blassen, wächsernen Haut und des langen, verfilzten Haars konnte er erkennen, dass sie wirklich schön, wenn auch viel zu dünn gewesen war.
Die Gerichtsmedizinerin vertrat die Ansicht, dass die beiden Leichen ebenso lange wie der erste unbekannte Tote im Wasser
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