Und morgen seid ihr tot
uns Wasser ein. Und als ich das warme, nach Plastik und Schlamm schmeckende Wasser auf meiner Zunge spüre, denke ich: Wozu das knappe Wasser teilen? Mit zwei Menschen, die sowieso gleich sterben? Ich will den Gedanken gar nicht zu Ende denken, zu groß ist die Furcht, es könnte alles nur eine Illusion sein, aber der Gedanke lautet: Vielleicht werden sie uns doch nicht töten. Zumindest vorerst nicht. Weil sie uns für etwas anderes brauchen. Aber wofür?
Sie scheinen es selbst nicht zu wissen, denn während die Männer hektisch den Wagen über Schotterstraßen, Feldwege und dann wieder querfeldein steuern, murmeln sie selbstvergessen ihre Suren. Der Dicke bei uns im Kofferraum, der eine Pistole und eine Sprengstoffweste trägt, hat angefangen zu weinen.
Ich sage auf Englisch, dass wir Kinder hätten, die in der Schweiz auf uns warten, sie mögen uns doch bitte nicht töten.
»No kill, Rupees«, antwortet einer der Männer. Wir haben gehört, dass er Subera heißt. Er ist groß und hager und kann ein wenig Englisch. Wenn sie Rupien wollen, warum haben sie dann David das Geld aus der Hand geschlagen?
Was ist das für ein Kommando?
Unser ganzer Leib schmerzt, Arme und Beine sind eingeschlafen, als der Wagen endlich hält und die Decke zurückgeschlagen wird. Wir schnappen nach Luft. Stunden sind vergangen. »Wir haben eine Kreditkarte im Bus«, sage ich, »damit könnten wir Geld abheben.« Subera erwidert in seinem gebrochenen Englisch: »Wir können nicht zum Bus zurück.« Außerdem – wo sollten wir einen Geldautomaten finden? Wir stehen mitten in der Wüste. Nur karstiges Geröll, ein paar vertrocknete Grasbüschel und Kakteen sind zu sehen. Wir setzen uns auf, und ein anderer Entführer schaut über die Rückbank zu uns und sagt: »Smile.« Ich schüttle den Kopf und erwidere: »No smile.« Er zückt ein Handy und schießt ein Foto von uns.
Die Männer geben uns weiße Kleider, dieselben weiten Hosen und Umhänge, die sie selbst tragen. Wir müssen, während das Blut wieder anfängt, in den Gliedern zu zirkulieren, und alle Muskeln brennen, die Kleider über unsere Sachen ziehen. Der Anführer mit seinem hübsch geschnittenen Gesicht steigt nun ebenfalls auf die Rückbank. Er schaut wieder freundlich, so wie bei unserer ersten Begegnung in Loralai, als er seine Kalaschnikow wie einen Spazierstock in den Bus gestellt hat. »Killing David and Daniela?«, fragen wir. Er lacht und schüttelt den Kopf. »No killing.« Er gibt uns die Hand darauf, sagt, er heiße Omera, und erklärt dann mit Gesten, das sei ein Versprechen, das gilt – es sei denn, wir versuchen zu fliehen.
Meine Blase sticht. Ich frage, ob ich auf die Toilette gehen kann. Man bringt mich vor den Kühler des Geländewagens, wo jedoch mehrere Entführer stehen. Plötzlich ist die Situation entspannt. Sie werden uns nicht töten, denke ich und bedeute ihnen, sie müssen die Augen schließen, solange ich pinkle. Und da stehen sie in Reih und Glied, mit geschlossenen Augen, in dieser schier unendlichen Fläche und warten artig, bis meine Blase entleert ist.
Die Fahrt geht weiter. Trotz ihrer Zusicherungen fragen wir die Männer immer wieder, mit umständlichen Gesten, ob sie uns erschießen werden. Nein, geben sie uns zu verstehen. Aber wir trauen ihnen nicht. Wie auch? Direkt nach der Entführung haben sie in der Seitentasche von Davids Hose unsere Pässe gefunden. Nun haben sie auch die restlichen Sachen, die sie aus unserem Bus mitgenommen haben, durchsucht. Sie haben sich mein IKEA -Kissen und unser Moskito-Netz angeschaut, unsere Shoppingkarte, eine Magnetkarte von einem thailändischen Hotel und Davids Klangschale. Und schließlich haben sie in Davids Portemonnaie den Dienstausweis von der Berner Polizei entdeckt. Sie wissen jetzt, sie haben keine gewöhnlichen Touristen gefangen, sondern einen Polizisten. Dass auch ich bei der Polizei war, geht aus den Papieren nicht hervor. Werden sie uns jetzt doch erschießen, weil wir ihnen nicht geheuer sind?
Der Anführer und sein Assistent Adekka schauen einander an. Ihre Mienen sind undurchdringlich. Falls sie eine Entscheidung getroffen haben, wird sie uns nicht mitgeteilt.
In der Ferne ist eine Staubwolke zu sehen, die sich langsam nähert. Glanzlichter springen über das Geröll, die Sonne blinkt auf einer Blechkarosserie. Eine weiße Limousine hält direkt vor uns, ein kleiner, hagerer Mann steigt aus und begrüßt die Entführer. Wir werden umgeladen. Der neue Mann klettert auf den
Weitere Kostenlose Bücher