Und morgen seid ihr tot
das Schaf nicht unbedingt attraktiv aus, aber Bissu hat eine großzügige Ader. Er fasst sich ein Herz und bespringt das Schaf von hinten. Er beginnt, mit dem Becken zu schwingen und steigert sich in Ekstase, ungeachtet der unverhältnismäßigen Proportionen. Das Schaf ist mindestens zehn Mal so groß wie er und dreißig Mal so schwer. Es reagiert entsprechend gelassen. Doch Bissu ist in Fahrt, er pumpt und hechelt, und selbst als das Schaf sich gelangweilt erhebt, setzt er sein Treiben fort. Dies können die Taliban natürlich nicht gutheißen, aber sie wissen sich auch keinen Rat und versuchen, die Sache zu ignorieren, während David und ich uns krummlachen. Unterdessen hat das Schaf sich mit seinen Hufen in Bissus Leine verheddert, es stolpert, der Affe wird wie am Lasso aus dem Sattel gehoben.
Als wir Bissu nach unserem Trainingsprogramm an den Baum binden, wird er fast wahnsinnig vor Verzweiflung. Er hat die Qualen der Liebe entdeckt, oder zumindest des unbefriedigten Triebes, während das Objekt seiner Begierde in einem stillen Winkel des Hofes döst. Wie jede große Liebesgeschichte endet auch diese tragisch.
Am nächsten Morgen – vom Morgengebet gestört, sind wir zum Schlafen auf den Steinboden ins Zimmer umgezogen – tritt David als Erster ins Freie. Er bleibt verdutzt stehen und sagt: »Daniela, was ich gerade sehe, das glaubst du mir nicht.«
Ich stehe ebenfalls auf und sehe, dass die Jailer sich unser mit viel Mühe gesäubertes Bettgestell angeeignet haben. Unser einziges Möbelstück, unser einziger Besitz, unser Rückzugsort. Das Moskitonetz, dessen Löcher wir vor dem Einschlafen immer sorgfältig nach Eindringlingen absuchen, liegt daneben auf dem Boden, ebenso all unsere kleinen Schätze wie Nivea-Creme, Spiegel usw. Auf unserem Bettgestell liegt das enthauptete Schaf samt Innereien, das Blut tropft aus dem Rachen, läuft auf den Boden, wo auch das Fell liegt. Ich bin geschockt, gedemütigt, fange an zu schluchzen und verstecke mich im Zimmer.
Guildo Horn ruft uns verzückt herbei: »Maschallah, Maschallah, dear sindbad!« Die Bewacher können unser Entsetzen über das Spektakel nicht verstehen, wir verstehen ihre Ekstase angesichts dieses besudelten Kadavers nicht.
Während wir unser Bett mit Seifenlauge reinigen, verteilen unsere Bewacher Blut, Knochen, Kopf, Fell und Fleisch auf den ganzen Innenhof. Dumbo kommt in einem festlichen Gewand, mit einem Pailletten-Hut und gold-violettem Tuch, um sich Kopf und Gesäß zu holen. Ein großes Festessen steht bevor. Bissus Verzweiflung hat ihren Höhepunkt erreicht. Hat er den Schafskopf, der uns aus einer Ecke des Hofes anstarrt, wiedererkannt? Eigentlich kannte er das Schaf ja nur von hinten.
Obwohl wir unser Bett akribisch geschrubbt und in der Sonne getrocknet haben, haftet der süßliche Geruch nach Innereien und Blut daran. Als ich in der folgenden Nacht trotzdem endlich in Schlaf gefallen bin, reißen mich zwei Druckwellen hoch. Durch die Ohrenstöpsel habe ich es zweimal knallen hören, der Boden hat gebebt. Zwei Artilleriegeschosse haben wieder in nächster Nähe eingeschlagen. In den letzten Tagen sind immer wieder Schusswechsel und Granateneinschläge aufgeflammt, einmal ist sogar ein Projektil neben mir im Hof gelandet. Diesmal jedoch entwickelt sich ein lang anhaltendes Feuergefecht. Maschinengewehre rattern. Guildo Horn behauptet, sie seien einige Kilometer entfernt, aber David ist anderer Ansicht, sie schießen von den umliegenden Dächern. Depp, der am Fußende liegt, um uns zu bewachen, ist ratlos. Ich bitte die Jailer, Informationen einzuholen. Sie nehmen ihre Waffen und gehen auf den Basar. Gollum bleibt, mit seiner Gebetskette in der Hand, zurück.
Wir kehren ins Bett zurück, doch die Gefechte flammen wieder auf. Alle fünfzehn bis dreißig Minuten detonieren nacheinander zwei Artilleriegeschosse in der Nähe, das geht die ganze Nacht lang so. Es gibt kein Funksignal, die Jungs holen Erkundigungen ein und erfahren, dass die Armee mit Geschützen die Innenstadt belagert. Es sei aber »no problem, inschallah«. Bei jeder Detonation beben Wände und Fußboden. Wir halten einander an den Händen fest, können nicht einschlafen, gehen, auf der Suche nach Beistand, zu den Bewachern ins Zimmer und legen uns dort auf den Steinboden. David flüstert mir zu: »Daniela, ich weiß nicht, ob wir morgen noch am Leben sind.« Dann nimmt er Abschied von mir.
Doch am Morgen, zur Stunde des ersten Gebets, herrscht plötzlich wieder Ruhe,
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