Und morgen seid ihr tot
eine Ruhe, die nur von Bissu gestört wird. Guildo Horn steht genervt auf und versucht, den Affen mit einem Toastbrot zu besänftigen. Aber der Toast zeigt keine Wirkung, und so will es David mit einem »Gespräch unter Männern« probieren. Er geht zu Bissu, als erneut zwei gewaltige Detonationen die Luft zerreißen. Dann knattern Rotoren, Helikopter fliegen über den Basar.
Als ich zu David laufe, schiebt sich ein bedrohlicher Schatten vor den Himmel, die Rotoren donnern über dem Innenhof. Ein Kampfhubschrauber, in etwa hundert Metern Höhe, direkt über uns. Ich lasse mich auf die Knie fallen. David zieht mich unter das Vordach, und wir schreien Depp an: »Sieh zu, dass wir hier weggeschafft werden.«
Depp geht mit Guildo Horn und dem Funkgerät wieder nach draußen. »No problem«, meinen sie, es sei nur die Armee, die schieße, nicht die Taliban. Wir warten nervös auf die Rückkehr der beiden, als das Gefecht über dem Basar wieder einsetzt und ein dumpfer Schlag alles andere übertönt. »Eine Mine«, meint David.
Gollum läuft ziellos, an seiner Gebetskette herumfingernd, im Hof hin und her. Zwar hat auch er sich schon eine Narbe an der Front geholt, aber er scheint mit seinen neunzehn, zwanzig Jahren völlig hilflos zu sein. Depp kommt zurück, alleine, er hat keinen Talibanchef finden können, Nase antwortet nicht auf den Funkruf. Locke, der einzige Taliban mit Urteilsvermögen, ist vor einigen Tagen wieder abkommandiert worden. Wir werden ihn nie wieder sehen.
Wir versuchen Ruhe zu bewahren, uns mit Alltagsgeschäften abzulenken. Wir duschen, während draußen die Schießerei weitergeht. Wir umarmen einander, mein Kinn liegt an Davids Schlüsselbein, das sich sanft bewegt, während Davids Hand über meinen Rücken streicht. Ich fange zu weinen an. In der Nacht hatten wir uns mit dem Gedanken getröstet, dass der Tod durch eine Granate kurz und schmerzlos ist, aber jetzt ist der Gedanke kein Trost mehr. Ich will hier raus.
Gegen Mittag beruhigt sich die Situation, wir legen uns in die Sonne vor unserem Bett und schauen eine der Video-Reportagen auf dem USB -Stick der Bewacher, sinnigerweise über Zukunftswaffen. Chetab, ein alter Talibanführer mit ausgemergeltem Gesicht, schwarz gefärbten Haaren und einem drahtigen, schmächtigen Körper, kommt in den Hof und sagt, alles sei in Ordnung, die Straßen seien voller Leute, die unbekümmert ihren Geschäften nachgingen. Die Armee könne nicht so einfach den Basar mit den Zivilisten unter Artilleriefeuer nehmen.
Aber sie hat es getan, denken wir. Andererseits: Wie sollen wir als Außenstehende die Lage richtig einschätzen? Dieser Talibanführer hat hier schon fünfzig, sechzig Jahre überlebt. Er legt sich, ebenso wie Guildo Horn, zur Siesta hin. Wir setzen uns wieder in die Sonne und schauen weiter die Reportage über futuristische Waffensysteme wie Drohnen und Cyberattacken, über Kriege, die vom Computer aus geführt werden, mit Joystick, Virenprogrammierung und Hackerangriffen, welche Lenkwaffen umdirigieren und Kernkraftwerke havarieren lassen.
Auf einmal schlägt uns eine mächtige Druckwelle gegen die Brust, nimmt uns die Luft, die Trommelfelle knacken. Wir springen auf und laufen unter das Vordach. »No problem«, sagt Depp wie gewöhnlich. »A big problem«, erwidern wir und machen Zeichen, er solle laufen und den Alten wecken. Ich weine, ringe nach Luft, während das bedrohliche Knattern der Helikopterrotoren wieder zu hören ist. Sie kreisen dicht über unseren Köpfen, wie finstere, böse Insekten. Der Talibanführer taucht auf, läuft mit Depp und Guildo Horn zum Basar, wir bleiben mit Gollum zurück.
Ich bekomme kaum Luft, fange an zu hyperventilieren. Seit Davids Bluttest wissen wir, dass wir in Miranshah festgehalten werden. Dies ist die Hauptstadt von Nord-Waziristan, seit Jahren Rückzugsort von Al-Qaida, Talibanhochburg. Hier hat die pakistanische Armee im März 2006 schon einmal eine Offensive gestartet. Drei Tage dauerten die Kämpfe an, bei denen die Armee mit schwerer Artillerie den Ort in Schutt und Asche legte. Laut Regierungsmedien starben hundertfünfzig Menschen, laut Taliban viel mehr.
David will mit mir im Zimmer Schutz suchen, aber ich kann mich nicht bewegen. Wir stehen unter dem Vordach, schauen in den azurblauen Himmel und klammern uns aneinander fest. Die Helikopter sind zu hören, das Rattern von Kalaschnikows, das Kreischen von Bissu, der sich in seiner Leine verheddert hat und vor Panik die Augen aufreißt. David
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