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Und morgen seid ihr tot

Und morgen seid ihr tot

Titel: Und morgen seid ihr tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Widmer; David Och
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im Hof.
    Aus der Zeitung erfahren wir, dass das letzte Video, das wir schon vor sechs Wochen gedreht haben, endlich veröffentlicht wurde. Wieder beginnen unsere Gedanken zu kreisen. Jetzt kann sich Pakistan nicht mehr aus der Verantwortung stehlen. Oder fühlen die Pakistani sich durch die Veröffentlichung von den Taliban überrumpelt? Brechen sie womöglich die Verhandlungen ab?
    Unsere Bewacher wissen auf diese Fragen keine Antworten. Um das Eidfest herum werde Nase oder Hans kommen und neue Informationen bringen. Das Eidfest wird zwei Monate nach Ende des Ramadan gefeiert und dauert drei Tage, also vom 7. bis 9.   November. Wir wünschten, es wäre bereits so weit. Andererseits sind Feiertage besonders schwer zu ertragen, weil es dann auf dem Basar weder frische Lebensmittel noch Zeitungen gibt, und die gespenstische Stille scheint davon zu künden, dass auch die Verhandlungen zum Stillstand gekommen sind.
    Guildo Horn wird immer unleidlicher. Er zeigt seine Sprengstoffweste und meint, an Weihnachten werde er sich in die Luft jagen. Er könne es kaum noch erwarten.
    »Du bist doch erst sechsundzwanzig und hast zwei Kinder«, wendet David ein.
    Eines Morgens steht Guildo Horn auf, nimmt alle DVD s, wirft sie auf einen Haufen im Innenhof und zündet sie an. Seine Kameraden sind entsetzt, seit Tagen schauen sie fast ununterbrochen die billigen TV -Serien, welche Depp und Stiller Hase in den Hof geschmuggelt haben. »Warum hast du das getan?«, fragen wir Guildo Horn.
    »Es sind Frauen darauf zu sehen, das ist für einen Moslem Sünde.«
    »Du hast die Serien doch selbst tagelang geguckt«, wenden wir ein.
    »Ja, aber jetzt merke ich, dass ich ein Problem in meinem Kopf habe.«
    Die anderen Bewacher haben jetzt das Problem, dass sie mit ihrer Zeit noch weniger anzufangen wissen als vorher.
    Depp bringt eine DVD mit Sketchen mit, über die sich alle totlachen, alle außer Guildo Horn. Er sitzt schmollend vor der Tür des zum Videoraum umfunktionierten Zimmers, betet und schminkt sich die Augenlider greller denn je. Ein zentralasiatischer Michael Jackson.
    Am letzten Oktobertag – es ist bereits dunkel, und wir liegen unter freiem Himmel im Bett – zischt plötzlich ein schweres Geschoss über uns hinweg. Eine Rakete oder eine Panzerfaustgranate, die offensichtlich von den Taliban Richtung pakistanisches Militär geschossen worden ist. Unsere Bewacher springen begeistert auf und schalten den Funk ein. Oft läuft der Funk zur allgemeinen Unterhaltung. Bei Gefechten schallt eine Stimme im Moderatorenton, untermischt mit Jubel, heraus.
    Die Armee antwortet auf den Beschuss. Zwar nutzen die Taliban die Zivilbevölkerung als Schutzschild, aber darauf wird nun keine Rücksicht genommen. Wir hören einen ohrenbetäubenden Knall in unmittelbarer Nähe. Trotz Ohropax schrecken wir hoch und versuchen, von unseren Bewachern zu erfahren, was vor sich geht. Diese wiegeln ab, doch als eine zweite Granate geflogen kommt, werden auch sie unruhig. »Ich glaube, das ist Artilleriefeuer«, sagt David. Die Taliban versuchen nicht, uns mit ihren Standardsprüchen zu beruhigen, wonach es »no problem« gebe oder der Krieg bald vorbei sei. Sie laufen aufgeregt im Hof hin und her, auf der Suche nach Funkkontakt.
    Ich zittere und schnappe nach Luft. »David, wir sterben«, presse ich hervor. Noch nie habe ich solche Geschosse gesehen, ein so deutliches Zischen gehört. Sechs weitere Granaten schlagen ein, und daraufhin wird unsere Verlegung vorbereitet. Doch dann verstummt das Artilleriefeuer, und wir bleiben im Innenhof.
    Am 5.   November beginnen die Vorbereitungen des Eidfestes. Gegen halb sieben Uhr abends zerren Guildo Horn und Depp einen Schafbock an einer blauen Plastikleine herein. Guildo Horn bindet das Tier an sein Heiligtum, den Guavenbaum, reißt ein paar Zweige ab und gibt sie ihm zu fressen. Bissu ist über diesen Neuankömmling in seinem Revier höchst erstaunt. Aus sicherer Distanz studiert er den Gast mit seinem verfilzten Fell und den schwarzen X-Beinen. Während Guildo das Schaf mit einer Waschschale tränkt, schleicht Bissu um die beiden herum, und als das Schaf ihn betrachtet, gibt er ihm eine Ohrfeige. Noch ehe sich das Huftier wehren kann, ist Bissu auf den Guavenbaum geschossen, von wo er die Übersicht und absolute Souveränität genießt. Das Schaf legt sich hin, niest ein paarmal. Bissu sträubt das Fell, bleckt die Zähne und legt die Ohren an. Mit seinem langen, dicken Schädel und den baumelnden Ohren sieht

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