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Und morgen seid ihr tot

Und morgen seid ihr tot

Titel: Und morgen seid ihr tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Widmer; David Och
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Menschen, der unsere Sprache spricht und der uns die wichtigsten Informationen zukommen lässt. Der uns regelmäßig besuchen wollte … Wir sind skeptisch. Zu oft sind wir vertröstet worden. Um 18   Uhr klopft es am Tor. Es ist nicht Hans, sondern Nase. Er begrüßt uns, schenkt uns eine violette flauschige Steppdecke und isst zu Abend. Sein Ritual aus Speisen und Beten nimmt wie gewöhnlich über eine Stunde in Anspruch. Wir fragen uns unterdessen, welche Neuigkeiten er bringt. Die Winterdecke ist zwar hübsch, gleichzeitig aber kein gutes Omen.
    Nachdem Nase sich vom Teppich erhoben hat, tritt er auf uns zu und sagt, wir würden Hans treffen. Wieder impft er uns die offizielle Version unserer Haftbedingungen ein: dass wir sieben Autostunden von Miranshah entfernt lebten, dass man unsere Jailer regelmäßig austausche usw. Warum müssen die Taliban einander etwas vormachen? Gibt es gegenseitiges Misstrauen? Oder weil sie Befehle nur nachlässig umsetzen? Wir haben inzwischen auch den Verdacht, dass Nazarjan auf Hans eifersüchtig ist und ihn möglichst auf Abstand halten will.
    Wir gehen aufs Tor zu, wie immer klopft mein Herz. Ich kann es nicht erwarten, diesen Innenhof zu verlassen, und gleichzeitig macht mir das Draußen Angst. Die fremden, vermummten Männer, die Waffen, Explosionen. Die Vorstellung, dass ich von David getrennt werden könnte. Zu viert warten wir, bis Nase das Auto vorgefahren hat, dann wird ein Torflügel einen Spalt weit geöffnet, und wir springen in den Wagen. Nase sitzt am Steuer, ich auf der Rückbank neben David, flankiert von Gollum und Pumba. Guildo Horn und Depp bleiben im Innenhof.
    Es ist kurz vor sieben. Die Straßen sind belebt, Männer mit Kopftüchern, dazwischen Vermummte mit Waffen. Die Leute sitzen auf den Ladenstufen und trinken Tee, Stände mit Essen, mit Lederwaren, Elektronik-Tand, Vordächer aus Stoffbahnen, Mopeds, Esel, Hunde.
    Nase lässt den Wagen durch die Straßen rollen und versucht, Ali, den Übersetzer, und Stiller Hase anzufunken. »Ali, Ali, Ali. Urwi, urwi, urwi.« Alle paar Sekunden rufen sie: »Ali, Ali, Ali. Antworte, antworte, antworte.« Ohne Erfolg.
    David legt schützend seinen Arm um mich. Er trägt Nases braunen Hut, ein dunkles Gewand, ein olivgrünes Tuch, dazu sein Vollbart, die zerzausten Haare – er sieht aus wie ein Paschtune oder Taliban.
    Plötzlich entdecken wir Ali, von uns Hans genannt, am Straßenrand. Ganz in Weiß, verhüllt und bewaffnet. Er setzt sich auf den Beifahrersitz, grüßt Nase, gibt uns die Hand. Nase lässt den Wagen anrollen, während Hans pausenlos auf ihn einredet. Nase steuert den Wagen an einer Schlange Lastwagen vorbei, erfährt, dass die Straße gesperrt ist, wendet. Hans’ Wortschwall scheint er dabei zu ignorieren.
    Wir verlassen die Innenstadt, die Randbezirke und kommen durch Felder und ausgetrocknete Flüsse. Hans dirigiert Nase, während er weiter plaudert, sich nach Bissu erkundigt, Davids langen Bart kommentiert. Wir halten an einer Nebenstraße, neben einem Ensemble aus Sandhäusern. In der Dämmerung, durch die getönten Scheiben, erkennen wir nur schemenhaft die Mauern, Dächer, Sträucher.
    Pumba und Gollum, der hagere Jüngling mit seinem Aknegesicht, werden angewiesen, den Wagen zu verlassen. Hans und Nase machen es sich im Schneidersitz bequem, auch David und ich setzen uns gemütlich auf die Rückbank, wobei ich meine kalten Füße an Davids Schenkel presse.
    »Bitte«, sagt Hans. »Stellt eure Fragen.«
    »Wir haben nur eine Frage«, erwidern wir freundlich, »und die ist dir bekannt.«
    »Wie lange noch?«, sagt Hans, übersetzt für Nase und lacht dann los.
    Beim wortkargen Nazarjan brechen plötzlich alle Dämme. Er redet sich in einen Rausch, geschlagene zehn Minuten spricht er auf Paschtu, ohne Punkt und Komma. Hans übersetzt für uns, was wir ohnehin schon hundert Mal gehört haben: Wie schwierig die Kommunikation sei, alles müsse per Boten übermittelt werden. Die Schweiz habe eine fünfköpfige Delegation geschickt, die drei Millionen geboten habe, jetzt laute die Forderung der Taliban: einhundert Mudschahedin, Präsident Zardari habe sechzig angeboten, plus 350   000   Dollar. Dann kommt der übliche Sermon, wie sehr ihre Brüder in den Gefängnissen zu leiden hätten. Sie würden es jetzt erst einmal mit der Forderung von hundert Gefangenen probieren … Ich kann nicht an mich halten. Sie probieren es mal? Sie wollen weiter feilschen, obwohl ihnen dieses großzügige Angebot

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