Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und Nachts die Angst

Und Nachts die Angst

Titel: Und Nachts die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Norton
Vom Netzwerk:
durch die Tür gelassen wird.
    Eine Minute später erneut die barsche Stimme der Frau. »Vierundvierzig.«
    Mit einem schwachen Lächeln tritt Reeve ans Fenster, zeigt den Umschlag und bittet höflichst, dass man ihn Jackie Burke weiterleitet.
    »Den können Sie hier aber nicht einfach so abliefern«, protestiert die Rezeptionistin.
    »Aber ich …«
    »Nein. Sie müssen warten. Setzen Sie sich wieder.«
    »Kann ihn ihr nicht jemand bringen?«
    Die Frau sieht sie verärgert an. »Warum haben Sie ihn dann nicht gleich mit der Post geschickt?«
    »Weil ich versprochen habe, dass sie ihn heute bekommt.«
    »Dann füllen Sie das Formular hier aus«, sagt sie und schiebt ihr ein Blatt unter dem Fenster durch, »und ich melde Sie an.«
    Reeve, die keine Lust mehr auf Höflichkeiten hat, schneidet ein Gesicht und füllt hastig das Blatt mit dem Stift aus, der an der Theke befestigt ist. Anschließend schiebt sie es wieder durch das Fenster, und die Frau rafft es an sich und ruft gleichzeitig: »Fünfundvierzig.«
    Reeve stöhnt und setzt sich wieder. Eine weitere Begegnung mit Jackie Burke ist so ungefähr das Letzte, worauf sie Lust hat. Dass der Umschlag geöffnet wurde, ist offensichtlich, und sie kann sich lebhaft ausmalen, wie Burke sie zusammenfalten wird.
    Ein großer Mann betritt das Büro und streift seinen Mantel ab. War er nicht gerade noch draußen, um zu rauchen? Er nickt der Empfangsdame zu und geht an Reeve vorbei auf die Tür zu. Sie betrachtet seinen Bizeps, wünscht sich, dass sie durch den Stoff sehen könnte, und blickt dann auf, weil sie seinen düsteren Blick spürt. Hastig sieht sie weg, als auch schon der Summer ertönt und er die Tür aufdrückt.
    Reeve schließt die Augen und denkt nach. Wenn sie sich einen Umschlag besorgt und eine Post findet, könnte sie die Akte tatsächlich schicken. Wie schlimm kann es schon sein, wenn sie erst ein oder zwei Tage später ankommt? Spätestens Montag wäre sie in jedem Fall da, und sie könnte Dr. Lerner erklären, dass …
    »Hey, Reeve. Alles in Ordnung?«
    Sie schlägt die Augen auf und sieht Nick Hudson vor sich.
    »Oh. Ja, mir geht’s gut!« Sie kommt hastig auf die Füße und hält ihm den Umschlag entgegen. »Ich wollte bloß das hier Jackie Burke geben.«
    »Ah, okay«, sagt er und nimmt ihn ihr ab. »Aber sie ist im Augenblick nicht da, und es ist Mittagszeit, also hätte ich zwei Fragen an Sie. Erstens: Haben Sie Hunger? Und zweitens: Mögen Sie Sushi?«

    Das Restaurant ist zu Fuß zu erreichen, deshalb eilen sie durch den böigen Wind und schaffen es gerade noch rechtzeitig zur Tür, als die ersten dicken Tropfen auch schon auf sie herunterplatschen.
    Das Lokal wirkt hell und freundlich, und Nick Hudson schlägt vor, sich an die Bar zu setzen. Während Reeve sich neben ihm niederlässt, taxiert sie den Raum und die Klientel. Sie begutachtet die Schärfe der Messer, die Frische des Fisches im Schaukasten und stellt dem Sushi-Koch ein paar Fragen auf Japanisch.
    »Sie überraschen mich doch immer wieder«, sagt Hudson und grinst.
    »Ich habe mal in einem japanischen Restaurant gearbeitet.«
    »Und worum ging es gerade?«
    »Es ist immer gut, einen Sushi-Koch zu fragen, was er empfiehlt.«
    »Aha. Und wie lautet das Urteil?«
    »Der Gelbschwanz ist besonders frisch.«
    »Großartig. Dann fangen wir damit an. Ähm, und wie wär’s mit ein paar Jiaozi?« Nachdem er dem Koch seine Bestellung durchgegeben hat, wendet er sich an sie: »Weitere Insidertipps?«
    Sie gibt einen nachdenklichen Laut von sich, dann fügt sie hinzu: »Sushi, das mit Frischkäse oder Mayonnaise gemacht wurde, ist Betrug und einfach schauderhaft.«
    »Okay, verstanden.«
    Sie hat es vermieden, ihm in die Augen zu sehen, da gutaussehende Männer sie immer nervös machen, doch nun zieht sie eine Braue hoch und sieht ihn abschätzend an. »Aber Sie haben mich nicht eingeladen, um mir zu schmeicheln. Was ist los?«
    Er rutscht auf dem Stuhl nach vorne und trommelt mit den Fingern auf den Umschlag, der zwischen ihnen liegt. »Eigentlich wollte ich mich nach Tilly erkundigen.«
    Die Kellnerin bringt zwei Schalen mit dampfendem Tee, und Reeve umfasst ihre mit beiden Händen. »Na ja, Dr. Lerner hat sich ja täglich mit der ganzen Familie getroffen. Er sollte in ein, zwei Tagen zurück sein.«
    »Ja, aber könnten Sie nicht bis dahin vielleicht ein paar Erkenntnisse weitergeben?«
    Sie gibt sich nonchalant. »Dr. Lerner ist der Fachmann. Er ist derjenige mit den Erkenntnissen.«
    Er

Weitere Kostenlose Bücher