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Und nehmen was kommt

Und nehmen was kommt

Titel: Und nehmen was kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Laher
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sein. Sie hat solche Angst vor der Zukunft, möchte hemmungslos heulen, liegt aber doch nur da, das Gesicht zur Maske erstarrt, die Augen weit offen.
    In der Früh ringt sie sich durch, ihre Zustimmung vorsichtig zurückzuziehen. Ihr müßt verstehen, stammelt sie, es ist alles, was ich habe, ihr habt beide keine regelmäßige Arbeit, wie wollt ihr das je zurückzahlen? Emil will es nicht verstehen und schlägt ihr zornig mitten ins Gesicht. Du willst also, daß ich unschuldig im Gefängnis verrotte, während du es dir in meiner Wohnung bequem machst. So gehen Monikas hunderttausend Kronen samt der verbliebenen Zinsen in den Besitz von Kristyna und Emil über. Sie fragt nicht nach einer Quittung, sie kennt weder das Wort noch seinen Sinn. Und am übernächsten Tag eröffnet Kristyna ihr beim Frühstück, sie könne übrigens doch nicht bei ihnen wohnen bleiben, aber sie kenne jemanden, der habe für sie ein Zimmer übrig, wenn sie für ihn auf der Straße arbeite.
    Vielleicht will sich die älteste Tochter des Gelähmten auch nur dafür rächen, daß die Kinder nach seinem unerwarteten Tod entschieden weniger Bargeld im Schrank vorfanden, als sie vermuten durften. Dafür, daß sie Monikas Mutter verdächtigen mußten und damit auch nicht falsch lagen, ganz egal, welchen für sie berechtigten Anspruch diese damit verband. Monika ahnt von all dem nichts, weil ihr die zweifelhaften Grundlagen jenes Sparbuches verborgen blieben, als sie mit zehn beiläufig von seiner Existenz erfuhr und es gleich wieder vergaß. Denn einerseits bekam sie es nie zu Gesicht, im Safe der Heimleitung blieb es, viele Jahre weggesperrt, Bestandteil ihres Aktes. Andererseits war das ohnehin alles viel zu abstrakt für das Kind, das sie war. Als sie älter wurde, nahm sie die Zinsen wie ein persönliches Geschenk des Direktors.
    Monika ist erleichtert, als ihr eröffnet wird, sie könne anderswo ein eigenes Zimmer bekommen, sogar eine Arbeit. Hier bei Kristyna und Emil in der kleinen Wohnung würde sie sich unter Garantie nie wohlfühlen können, sie hat keinen Ort, um sich zurückzuziehen, schläft auf der Kunstledercouch in der Küche, muß aufbleiben, bis Emil das letzte Glas geleert hat. Und, soviel steht fest, von diesen Menschen fühlt sie sich weder angenommen noch beschützt, im Gegenteil. Gott sei Dank hat sie noch keine Anstalten gemacht auszupacken, wo hätte sie ihr Zeug auch unterbringen sollen?
    Welche Arbeit ist das? fragt Monika unschuldig. Mit so viel Naivität haben Kristyna und Emil nicht gerechnet, für einen Moment zeigen sie sich sogar einigermaßen irritiert: Na, auf der Straße eben, Männer, du weißt schon. Wirst sicher gut ankommen mit deiner Figur, laß dir das gesagt sein. Monika traut ihren Ohren nicht, das Blut zieht sich zurück ins Zentrum ihres Körpers, als müsse es sich schnell in Sicherheit bringen vor den angekündigten Übergriffen. Ein paar Sekunden herrscht völlige Stille, dann springt Monika auf, schlägt auf Emil ein und schreit: Gebt mir sofort mein Geld zurück, ihr Schweine! Welches Geld? fragt Emil mit gespieltem Erstaunen.
    Wieder fährt ein Zug ein. Monika nimmt keine Notiz davon. Den Kopf im Nacken, hält sie die Augenlider geschlossen, preßt sie die Unterschenkel gegen den Koffer, der zwischen ihren Beinen unter der Bank steht. Zur Faust geballt, liegen die Hände auf ihrem Schoß, die Fingernägel krallen sich in die Handflächen.
    Dunkle, gutturale Schmerzenslaute, tierisch mehr als menschlich, heulten aus ihr, als sie fluchtartig aus der Wohnung stürzte, lief lief lief, nach ein paar hundert Metern kehrtmachte, weil ihr dämmerte, daß sie ohne ihr Gepäck unterwegs war. Bei dem Gedanken, noch einmal zurück in diese Wohnung zu müssen, wurden ihre Schritte langsamer, auch weil ein Würgen einsetzte und sich den Hals hochkämpfte. Sie blieb stehen, stützte sich mit der Linken an einer Hausmauer ab, endlich ging sie in die Knie, übergab sich, zitterte dabei am ganzen Körper und hockte einige Minuten reglos vor ihrer Kotze, ohne daß ihr jemand beizustehen versucht hätte.
    Dann wischte sie sich mit dem Handrücken in Zeitlupe über den Mund, erhob sich mühsam und schlurfte weiter. Leise drückte sie die Klinke der Wohnungstür und schnappte, ohne daß Kristyna und Emil es merkten, ihren Koffer, der griffbereit im Vorzimmer stand. Da fiel ihr Blick auf den leeren Fleck daneben, wo sich tags zuvor noch der verschnürte Karton mit dem Startpaket aus dem Heim befunden hatte. Wo sind meine

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