Und nehmen was kommt
ein paar Fotos und Poster, das Bündel Briefe von der Mutter, diversen Kleinkram. Mit auf den Weg gibt man ihr das übliche Startpaket, Töpfe und Geschirr, Bettwäsche, eine Decke, einen Polster. Zuletzt händigt ihr die Heimleitung noch den Paß und jenes Sparbuch aus, das die Mutter einst für sie angelegt hat. Man wünscht ihr viel Glück. Monika dreht sich nicht um, als sie ins Auto einer Erzieherin steigt, die sie zum nächsten Bahnhof bringt. Ein bißchen Hoffnung hat sie, vor allem aber eine diffuse, wie Mehltau über ihrer Existenz liegende Angst, Monikas vorherrschendes Lebensgefühl.
II
Innerlich ist Monika noch gar nicht angekommen, unscheinbar sitzt sie, kleiner und schmäler als sonst, an der Ecke des Küchentisches, fremde Menschen um sich, die sie bewirten, auf sie einreden, erzählen, fragen. Mit den Antworten tut Monika sich schwer, die Anspannung schlägt sich auf ihre Konzentrationsfähigkeit, zwei lebhafte Kinder lenken sie ab, und auf Gedeih und Verderb angewiesen zu sein auf Kristyna und Emil, dieser Gedanke verstört sie jetzt, wo sie vor ihnen sitzt, mehr noch als zuvor.
Wenn Monika leise anfängt, darüber zu sprechen, was die beiden anscheinend erfahren wollen, kommt sie meistens nicht weit, denn ihren Gastgebern dürfte es entschieden zu mühselig sein, von sich selbst abzusehen. Schon sind wieder neue Themen auf dem Tisch, mit denen sie oft kaum etwas anfangen kann, weil sie mit der Welt zu tun haben, in die sie entlassen worden ist, ohne mit ihr bekanntgemacht worden zu sein. Besonders Kristyna nimmt ihr die Luft zum Atmen, wenn sie mit beiläufig eingestreuten Floskeln vermittelt, über dies oder jenes müsse sie, Monika, ohnehin bestens Bescheid wissen. Wie du dir sicher vorstellen kannst, heißt es da, oder: Und dann passierte das übliche, du weißt schon.
Zu diesen üblichen Geschichten zählt offenbar auch Emils bevorstehende Gefängnisstrafe. Völlig unschuldig sei er, aber die Polizei habe ihn mit voller Absicht eingetunkt, weil er sich eben nichts gefallen lasse. Schrecklich, die lange Trennung und natürlich der Verdienstentgang, sie und die Kinder würden wieder einmal nichts zu beißen haben, und das ausgerechnet jetzt, wo Monika neu in die Familie komme, denn schon übermorgen müsse er nämlich die Haft antreten.
Monika merkt, wie ihr langsam übel wird. Sie hat es befürchtet. Keine Rede von sanftem Übergang, einem geschützten Ort, wo ihr wohlmeinende Leute den Rücken stärken, ihr beistehen, sich einzuleben in die schwierige Freiheit selbstbestimmten Erwachsenseins. Stattdessen platzt sie in eine Familie im Chaos, und es ist abzusehen, daß sie schnell wieder ihren Koffer packen wird müssen. Am besten, ich packe ihn gar nicht aus, sagt sie sich.
Dabei könnte er sich die zehn Monate sparen, räsoniert Kristyna weiter und klatscht zur Bekräftigung in die Hände auf ihrem Schoß, wenn wir die lächerlichen hundertfünfzigtausend Kronen für die Geldstrafe hätten. Aber in der ganzen Verwandtschaft können wir vielleicht einmal, wenn’s hoch kommt, ganze fünfzigtausend zusammenkratzen. Arme Leute müssen eben dunsten, läßt sich Emil resigniert vernehmen.
Ich habe ein Sparbuch, entfährt es da Monika, und in derselben Sekunde noch schießt ihr ein, daß sie das besser nicht gesagt hätte. Sie hat keine Arbeit, braucht das Geld doch für sich, und wie soll sie es überhaupt in absehbarer Zeit zurückgezahlt bekommen? Monika will zurückrudern, retten, was zu retten ist, es ist aber nichts zu retten.
In Nullkommanichts ist vereinbart, man werde gleich am nächsten Morgen gemeinsam die Bank aufsuchen, Monikas Sparbuch auflösen, und in Monatsraten werde sie die Summe zurückbekommen, auf Heller und Pfennig, selbstredend mit Zinsen und Zinseszinsen. Was für ein Glück! Kristyna ist ganz außer sich vor Freude, umarmt Monika fest, Emil holt, um den Vertrag zu besiegeln, statt Papier und Kugelschreiber die Schnapsflasche, schenkt gut ein und will anstoßen. Monika haucht, sie trinke aus Prinzip keinen Alkohol, und schüttet den Inhalt des Glases in einem Zug hinunter.
Kann ich mich kurz wo hinlegen, mir ist schlecht, bettelt sie dann, und Emil meint verständnisvoll: Ja, wenn man’s nicht gewöhnt ist. Monika starrt zur Decke, hört die Kinder streiten und quengeln, die Eltern vergnügt scherzen und sich mehrmals nachschenken. Ihr steht der Schweiß auf der Stirn, als ihr auf der Kunstledercouch in der Wohnküche klar wird, den Anforderungen nicht gewachsen zu
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