Und nehmen was kommt
dürfen. Wieder steht Monika allein da.
Auf der Straße hat das Berufsleben einen anderen Rhythmus als im Bordell, das alle aus dem Milieu nur Club nennen. Wer auf dem Strich arbeitet, schält sich zu Mittag um eins oder zwei aus den Federn, Kaffee, duschen, schminken, die meisten spritzen oder schnupfen. Dann hinaus auf die Straße, zehn Stunden, zwölf Stunden, zwei Männer, drei Männer. Kein Wochenende, kein freier Tag, außer er ist biologisch bedingt, die tägliche Aussicht auf Schläge vom Zuhälter, wenn irgendwas nicht paßt.
Die Frauen aus den Clubs dagegen schlafen zu Mittag um eins oder zwei tief und fest, wenn sie zu den wenigen gehören, die der exzessive Drogenkonsum und der zwangsweise zur Nacht gemachte Tag nicht längst um den gesunden Schlaf gebracht haben. Ihr Wecker läutet um fünf am Abend, Kaffee, duschen, schminken, viele spritzen oder schnupfen. Um sechs Arbeitsanfang, am Wochenende um vier in der Früh vielleicht noch in die nahe Disco, die sich dann erst richtig füllt, weil die Männer wissen, um diese Zeit kann man um den halben Preis das ganze Vergnügen haben, wenn man eine Schöne der späten Nacht direkt von der Tanzfläche aus abschleppt. Wo das Klima stimmt, ist ein freier Tag von Zeit zu Zeit ohne weiters drinnen, dann fahren zum Beispiel drei oder vier Frauen aus der Grenzregion gemeinsam mit dem Zug nach Prag, um die Dienstgarderobe zu vervollständigen und sich günstig mit Drogen einzudecken. Speed ist aber auch im Dunstkreis der Bordelle nicht wirklich teuer, teilweise gehört die erschwingliche Grundversorgung damit sogar zum Service der Arbeitgeber, um das Personal bei Laune zu halten. In vielen Clubs dürfen die Frauen umsonst essen und trinken, wenn gerade keine Gäste dafür aufkommen. Wichtig ist, daß man sich auf das Sicherheitspersonal verlassen kann, wenn ein Kunde sich auf dem Zimmer nicht an die Spielregeln hält, zum Beispiel auf Praktiken besteht, für die die Frau nicht zu haben ist, oder wenn er ausrastet.
Monika erscheinen die ersten Tage im Club, nachdem sie ihre Befangenheit abgelegt hat, tatsächlich wie ein gewisser Aufstieg. Einst wollte sie Advokatin oder Fußballerin werden, Ballettänzerin oder Rapperin, jetzt ist sie wenigstens keine Sklavin mehr. Und das Abenteuer Schweiz steht erst bevor. Vom Vorsatz, das Rotlichtmilieu ganz hinter sich zu lassen, ist freilich wenig geblieben, eigentlich nichts. Es geht ihr im Moment wie nach den Prügeln von František, die ihr nicht allzu häufig widerfuhren, aber wenn, dann mit ungeheurer Brutalität: Daß es nicht mehr so fürchterlich weh tut, begreift sie als merkbare Erleichterung. Schmerzfrei ist sie bei weitem nicht.
Erfolgreich tröstet sie sich zudem mit einer vagen Vorstellung vom gelobten Land, in das sie aufbrechen wird, durch den Dienstboteneingang zwar, aber selbst der gilt den meisten, wie die Frauen im Club ihr bestätigen, als kaum erreichbares Traumziel. Monika nimmt diese Woche deshalb als eine Art Lehrzeit, holt sich von den Kolleginnen, mit denen sie sich fließend unterhalten kann, noch rechtzeitig eine Menge Know-how, wer weiß, aus welcher Herren Länder sich das Personal in Zürich zusammensetzen wird. Werden ihre Deutschkenntnisse ausreichen, um im Paradies zu bestehen? Das ist jetzt ihre größte Sorge.
Der gefälschte Paß ist fertig, gut schaut er aus, denkt Monika. Aber offenbar nicht gut genug, denn die deutschen Grenzbeamten prüfen das Dokument genau, holen sie aus dem Zug nach München und verweigern ihr die Einreise. Den falschen Paß darf sie allerdings behalten. Sie ruft Jana an, die rät ihr, es einfach ein zweites Mal zu probieren. Mit einem Regionaltriebwagen fährt sie ein Stück ins Landesinnere zurück und wartet dort stundenlang auf die Nachtverbindung nach Deutschland.
Was für ein Unterschied: Beim ersten Versuch hat sie sich überhaupt nichts dabei gedacht, als erst die tschechischen, dann die deutschen Grenzer die Abteiltür öffneten. Den Tschechen genügte ein flüchtiger Blick, den Deutschen nicht. Jetzt schlägt ihr Herz wild, und sie fürchtet, sie würde sich allein durch ihre Nervosität verdächtig machen. Auf den Gedanken, daß sie nun zentral vorgemerkt und damit von vornherein völlig chancenlos sei, kommt sie nicht. Fast exakt fünf Jahre ist das Schengen-Abkommen in Kraft, die immense technische Aufrüstung an den Außengrenzen der Mitgliedsländer hat längst zur stehenden Wendung von der Festung Europa geführt. Monika war bis heute noch nie an
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