Und nehmen was kommt
Behandlung an nicht stimmte, mußten leider auch gröbere Unglücksfälle vorhergesagt werden, allein schon um zu vermeiden, daß die offiziell nicht anerkannte Zunft in den Verdacht geriete, ausschließlich unseriöse Gefälligkeitsgutachten abzugeben.
Die alte Frau trägt ihr langes, silbergraues Haar offen. Unter lautem Ächzen läßt sie sich auf eine der freien Bänke an der Kirchenmauer nieder und kramt in ihrer Tasche. Sie holt eine Coladose hervor, trinkt gierig ein paar Schlucke, wischt sich den Mund ab und nickt Monika freundlich zu. Die hat sich inzwischen neugierig aufgesetzt. Sie nimmt es als Wink des Schicksals, an diesem neuen Tiefpunkt womöglich einer weisen Seherin zu begegnen, wie sie ihr aus frühen, geheimnisvollen Erzählungen der Großmutter erinnerlich sind. Soll sie die Alte tschechisch, slowakisch oder romanes anreden, um herauszufinden, ob sie tatsächlich eine Wahrsagerin ist? Sie murmelt einen Gruß auf romanes und erkundigt sich dann tschechisch.
Ganz recht, mein Kind, sagt die Frau, mir verraten die Karten, was sein wird. Monika schildert ihr möglichst knapp, wie wenig sie das Leben bisher verwöhnte, und schließt mit der bangen Frage, wieviel es wohl kosten würde, einen Blick in die Zukunft machen zu dürfen. Eigentlich habe sie sich hierher wie jeden Tag zur Mittagspause zurückgezogen, antwortet die Alte, aber dann entnimmt sie der Tasche doch die benötigten Hilfsmittel. Der Preis schreckt Monika nicht, und so erfährt sie, daß es nicht mehr allzu lange dauern könne, bis sie auf einen jungen Mann treffen werde. Einige Jahre würde diese Beziehung bestehen bleiben und Tränen mit sich bringen, die einen Brunnen zu füllen imstande wären. Ein Kind gehe daraus hervor, aber sie würde es leider weggeben müssen. Dann aber kläre sich der Himmel auf, ein anderer, wesentlich älterer Mann träte in ihr Leben, ein großes Glück sei die Folge und noch ein Kind. Zufriedenheit sehe sie auf lange Sicht in den Karten und ein langes Leben.
Monika möchte diese ambivalenten Neuigkeiten am liebsten sofort mit Barbora bereden. Sie kann es kaum erwarten, bis sie endlich erfahren wird, wie sie sie erreichen kann, hoffentlich noch heute. Nein, er habe nur den Auftrag, ihr klarzumachen, daß diese Barbora absolut kein Treffen wolle, sagt der Mensch hinter der Bar und stellt die Getränkekiste ab. Ja, und eine Notiz solle er ihr übergeben, Moment, da müßte sie irgendwo liegen. Er reicht Monika einen hellblauen Zettel, darauf steht: Habe den Mann meines Lebens gefunden. Bin glücklich und will mit früher nichts mehr zu tun haben. Barbora. Monika starrt ungläubig auf das Blatt Papier, liest es noch einmal. Ihr fällt ein, daß sie Barboras Handschrift nicht kennt. Wenn die Nachricht wirklich von ihr geschrieben wurde, dann sicherlich unter Zwang, denn mit so einem dummen Wisch würde sie Monika gewiß nicht abspeisen. Außerdem, Barbora ist lesbisch, diese Geschichte mit dem Mann ihres Lebens ist ein schlechter Witz.
Schönen guten Abend, Ausweiskontrolle, heißt es plötzlich im Abendzug nach Prag. Diesmal sind es Polizisten, keine Grenzbeamten. Als sie Monika ohne Beanstandung die Paßattrappe zurückreichen, faßt sie sich ein Herz. Nie hätte sie erwogen, wegen Barbora zur Polizei zu gehen, denn Vertrauen in die Hüter des Gesetzes hätte Vertrauen in die Gesetze vorausgesetzt, und Vertrauen in die Gesetze eine andere Erfahrung als die, tagein tagaus einer Welt ausgesetzt zu sein, die nur ihre eigenen Gesetze kennt, nicht die des Staates.
Da sie aber nun einmal vor ihr stehen, wagt sie die Frage, ob sie draußen vor dem Abteil kurz mit ihnen sprechen könne. Sie bemüht sich, möglichst sachlich und unaufgeregt zu schildern, daß sie fürchte, ihre Freundin sei in die Hände von zwielichtigen Elementen gefallen, werde wahrscheinlich gegen ihren Willen festgehalten, womöglich irgendwohin verkauft, zur Prostitution gezwungen, mißhandelt. Die Russenmafia vielleicht. Monika zeigt ihnen den Zettel mit der angeblichen Nachricht. Wieso soll eine Lesbe von einem Tag auf den anderen den Mann ihres Lebens gefunden haben, können Sie mir das sagen?
Die beiden Polizisten schauen sich vielsagend an, einer schiebt bedächtig seine Kappe in den Nacken. Sein Mund verzieht sich zu einem breiten Grinsen. Wohl ganz schön eifersüchtig, kleine Zigeunerin, hm? Hättest dir eben rechtzeitig einen Schwanz wachsen lassen sollen, einen schönen langen und dicken. Und jetzt mach dich gefälligst nicht so
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