Und nehmen was kommt
einer Grenze, von vernetzten Datenbanken hat sie nicht den Funken einer Ahnung. Sie hofft nur inständig auf einen Schichtwechsel, um nicht denselben Beamten zu begegnen wie zuvor.
Wenig später sitzt sie zum zweiten Mal vor dem trostlosen Grenzbahnhof und friert. Wie zum Hohn hat man ihr auch diesmal den gefälschten Paß nicht abgenommen. Die Nächte sind noch empfindlich kalt, aber die schlimmste Kälte breitet sich von innen aus. Die Seifenblase Schweiz ist zerplatzt, und wieder einmal lockt sie der Schienenstrang. Da kommt ihr Barbora dazwischen. Als Monika vorhin den zweiten Anlauf nahm und einige Kilometer im Hinterland ungeduldig auf den Nachtexpreß nach München wartete, stach ihr das Stationsschild sofort ins Auge. Erst kürzlich war sie mit dem Namen dieser Stadt in Berührung gekommen. An diesem Ort, fiel ihr schließlich ein, mußte sich die Adresse befinden, an die Barbora vermittelt wurde. Monika beschließt, sie zu besuchen, vielleicht sogar im selben Club anzuheuern, wenn das geht. Bis zum ersten Pendlerzug am frühen Morgen vergeht noch viel Zeit.
Auch den halben Vormittag schlägt Monika die Zeit tot, denn im ganzen Etablissement rührt sich nichts, nicht einmal das Putzpersonal. Ja, die war kurz da, meint schließlich eine der dort beschäftigten Frauen, als sie gerade eilig zum Gesundheitsamt aufbricht, aber nur wenige Tage. Versprechen könne sie gar nichts, aber gut möglich, daß es ihr gelingen werde, einen Kontakt herzustellen. Wie heißt du? Monika nennt ihren Namen. Paßt. Den Koffer kannst du gern hier einstellen, schau gegen sechs am Abend vorbei und frag beim Barkeeper nach.
Also wieder warten, warten, warten. Ihr kommt das alles höchst merkwürdig, beunruhigend vor, alle möglichen Fragen schießen ihr durch den Kopf: Hat Barbora schon wieder den Club gewechselt, freiwillig oder notgedrungen? Wo könnte sie sonst sein? Hat ihr Zuhälter Wind davon bekommen? Hoffentlich ist ihr nichts zugestoßen. Monika will ihre Irritation verscheuchen und schlendert in Richtung Zentrum. Deutsche Pensionistengruppen durchwandern mit und ohne Führer langsam die Altstadt, haben sich im Museum ausführlich über Wallensteins Ende informiert, sitzen zur Stärkung gemütlich am Stadtplatz im Café, reden von früher, von der Zeit vor der Vertreibung, trinken Bier, essen Eis, genießen die Frühlingssonne. Monika schaut ihnen eine Weile zu und fühlt sich zunehmend unwohl dabei. Es ist schon länger her, daß sie die Muße fand, sich am hellichten Tag so richtig leid zu tun, dem Eindruck nachzugeben, die Welt sei himmelschreiend ungerecht. An diesem Nachmittag kommt sie sich nicht aus. Sie legt sich auf eine der halbzerfallenen Bänke hinter der Pfarrkirche, wo selten wer vorbeikommt, und versucht ein bißchen zu schlafen. So erschöpft sie auch ist, es will ihr nicht gelingen.
Aus dem Augenwinkel sieht sie irgendwann eine alte Romni mit großem Ohrgehänge um die Ecke biegen, und zwar im traditionellen langen bunten Rock, den selbst die in die Jahre gekommenen tschechischen, ursprünglich meist slowakischen Romafrauen längst nicht mehr tragen, es sei denn aus folkloristischen Gründen, um ihre Geschäfte zu befördern. In solch einer Grenzstadt, wo von vorwiegend vietnamesischen Händlern für die Touristenschwärme jeden Tag Markttag abgehalten wird, handelt es sich bei diesen Geschäften fast immer um die Kunst des Wahrsagens.
Dieser jahrhundertelang einträgliche Erwerbszweig gründet sich auf die psychologische Einsicht, daß viele Menschen, vorwiegend die Frauen, zu allen Zeiten in der jeweils eigenen Vergangenheit wenig mehr als ihr Unglück fanden und für die Zukunft trotz niederschmetternder Erfahrungen inständig eine Wende ersehnten, auf die sie freilich kaum ernsthaft zu hoffen wagten. Im Selbstverständnis der Wahrsagerinnen nahm sich die angebotene Dienstleistung daher nicht als Humbug aus, schon gar nicht als Betrug, sondern als seelenärztliche Betreuung zu leistbaren Tarifen.
Wollte man die positive Wirkung des Befundes nun langfristig sichern, ging es natürlich nicht an, gleich für den nächsten Tag oder das nächste Jahr den Eintritt neuer, die Sehnsüchte befriedigender Verhältnisse zu prophezeien. Vielmehr ließ sich in den Karten zumeist absehen, daß ohne Zweifel noch eine Zeitlang Durststrecken zu durchwandern seien, ehe die Schicksalswaage auf die andere, dem Klienten, der Klientin gewogene Seite ausschlagen würde. Hin und wieder, wenn die Chemie von Anfang der
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